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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser
Autoren: Sandra Lüpkes
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nichts, wusch sich die Hände ausgiebig unter heißemWasser. Die Flüssigseife quoll zwischen seinen langen Fingern hindurch.
    «Wie ist die Operation verlaufen?», fragte sie wieder und konnte ihre ängstliche Ungeduld nicht verbergen.
    Birger Isken schüttelte den Kopf.
    «Wie? Was soll das bedeuten?», schrie sie ihn an und lehnte ihre Hand gegen die grauen Fliesen an der Wand, um sich ein wenig festzuhalten.
    «Es soll bedeuten, dass sie es nicht geschafft hat», sagte Birger ruhig und sah sich dabei selbst im Spiegel an, der über dem Waschbecken hing.
    Veronika Schewe stürzte auf ihn zu und rüttelte an seinem Arm. «Das kann nicht sein! Du hast gesagt, dass es keine große Sache wäre, dass sie es auf jeden Fall überleben würde, Birger, das hast du mir gesagt!»
    «Da wusste ich auch noch nicht, wie schlimm es um sie stand.»
    Sie hasste ihn für die Gelassenheit, mit der er sprach. Sie wollte ihn schlagen, mit den Fäusten auf den Arm, auf die Brust. Wie konnte er so kalt und teilnahmslos erzählen, dass Gesa gestorben war. «Sag, dass es nicht wahr ist!», schrie sie.
    «Veronika, dieses Mädchen wäre sowieso gestorben, vielleicht hätte sie noch zwei, drei Monate   …»
    Und jetzt gehorchten ihre Arme nicht mehr, sie krallte ihre langen Fingernägel in sein grünes Operationshemd und riss ihn herum, sodass er ihr in die Augen schauen musste. «Mein Gott, du hast es doch geahnt, du musst es doch gewusst haben, dass sie keine Chance hatte. Und bei dieser Jolanda hast du auch nicht so ein Aufhebens gemacht.»
    «Für mich ist es schon ein Unterschied, ob ein Kind direkt auf unserem Operationstisch stirbt. Wir haben sie getötet.»
    Er umfasste ihre Handgelenke und schob sie von sich. «Werdebitte nicht hysterisch, Veronika. Du und ich, wir haben beide gewusst, dass so etwas passieren könnte. Also hör bitte auf zu heulen. Für die Öffentlichkeit wird der Entführungsfall Gesa Boomgarden für immer ungeklärt bleiben. Und die Leiche lassen wir über das Forschungslabor verschwinden.» Er wandte sich von ihr ab. «Wir haben jetzt ein ganz anderes Problem, mit dem wir fertig werden müssen.» Er schnappte sich ein Handtuch und trocknete seine rot gewaschenen Hände gründlich ab. «Wir haben einen Haufen Leute, die wir irgendwie unter Kontrolle kriegen müssen. An erster Stelle kümmern wir uns um diese Okka Leverenz, sie muss dringend kaltgestellt werden. Ich hatte da an Insulin gedacht.» Er lächelte leicht.
    Veronika Schewe blieb stumm. Ihre Lippen klebten aufeinander, weil ihr Mund ganz trocken geworden war. Kurz blickte sie in den Spiegel an der Wand, um Himmels willen, war sie blass, sie sah alt aus, hässlich und alt. Der Anblick war nicht zu ertragen, also schaute sie weg, folgte Birger mit den Blicken, wie er sein Hemd auszog und sich dann mit den Händen durch die Haare fuhr.
    «Und was machen wir mit den anderen? Mit dem Vater zum Beispiel?» Da war sie wieder, ihre Stimme. Brüchig und leise, doch sie konnte wieder reden. Es brachte nichts, zu schweigen. Irgendwie musste es weitergehen, zum Umkehren war es schon viel zu spät.
    «Ihr Vater wird noch so lange unter uns weilen, bis er verraten hat, wer dieser ominöse Ben ist und woher dieser die Informationen über unser Projekt hat.»
    «Und dann haben wir auch noch Henk und seine Mutter, sie warten schon seit Stunden in van Loodens Haus. Was willst du mit ihnen unternehmen?»
    Birger knöpfte sich die Manschettenknöpfe zu und kam mitzufriedenem Gesicht auf sie zu. «Na also, du bist wieder ganz die Alte. Dein messerscharfer Verstand ist es, der dich so attraktiv macht.» Er küsste sie beiläufig auf den Mund. «Ich weiß, ein totes Kind tut weh, Veronika, ich kann dich auch irgendwie verstehen. Ich hoffe, du verkraftest es, wenn es noch mehr Opfer geben wird.» Er strich ihr fast väterlich über die Wange. «Ich kann mich doch auf dich verlassen, oder?»
     
    Irgendwann bekam ich Angst, dass ich verrückt werden würde. Dieses winzige Zimmer, das Flackern der Neonröhre und die Stille, diese verdammte Stille. Ich hielt es nicht mehr aus.
    Der wirbelnde Gedankenstrudel hatte aufgehört, in mir zu rotieren. Mein Vater, Henk, diese gewalttätigen Männer und das überhebliche Gesicht von Veronika Schewe, irgendwann waren sie alle verschwunden und auch in meinem Kopf war es still.
    Mein Gott, war ich müde, ich konnte mich nicht mehr halten auf diesem verdammten Hocker. Meine Wirbelsäule knickte Stück für Stück zusammen, ich war zu
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