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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser
Autoren: Sandra Lüpkes
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missglückten Versuch, so fest, dass es schmerzte. Das Hemd, das Malin mir geliehen hatte, war am Ärmel aufgerissen, aber ihre Jeanshose hatte meinen Knien ein wenig Schutz geboten.
    «Eine richtig wilde Dame, die Sie uns da anvertraut haben, Chef!», sagte der eine grinsend und drehte meinen Arm so weit nach hinten, dass ich jede Sehne mit einem Stechen spürte.
    Durch mein Toben war Dr.   Schewe alarmiert, ich konnte an ihrem Gesicht sehen, dass sie sich sehr erschreckt hatte. Sie wagte sich nicht wieder in meine Nähe, obwohl ich doch kampfunfähig auf dem Boden lag, sie hatte Angst vor mir. Und das war so etwas wie ein kleiner, hoffnungsvoller Sieg.
    «Danke, Herr van Looden, Sie haben es wirklich versucht.» Sie reichte ihm ihre blasse Hand.
    «Mein Gott, sie ist wirklich widerspenstig. Wie gut, dass wir diese Frau unter Kontrolle gebracht haben, bevor sie alles zunichtemachen konnte.» Van Looden und Dr.   Schewe gingen an mir vorbei und ich merkte, dass sie mit ihren hohen Schuhen einen kaum merklichen Bogen um mich machte. «Was werden Sie jetzt mit ihr anstellen?», fragte van Looden, als sie schon aus der Tür waren.
    «Was weiß ich. Ich dachte wirklich, wir kriegen sie auf die sanfte Art und Weise. Ich denke, den Rest werde ich jetzt Professor Isken überlassen.»

11.
    Ich saß da. Allein. Auf einem unbequemen Hocker im Liekedeler-Keller. Es war dieser unbekannte Raum, dessen Metalltür ich bei meinem heimlichen Besuch des Archivs entdeckt hatte. Von dem ich zu gern gewusst hätte, was sich darin verbarg.
    Nun wusste ich es. Es standen Regale an den Wänden, dünne, unstabile Blechregale, voll gepackt mit Medikamenten. Wie in einer Apotheke, dachte ich, nur dass es keine große Auswahl an Pillen gab. Schmerzmittel, Tropfen gegen Brechreiz, ich kannte mich nicht gut aus in solchen Dingen, doch es schienen nur Medikamente zu sein, die in jedem gut sortierten Arzneischränkchen zu finden waren. Und Rytephamol-B, kiloweise. Es waren unauffällige, hellgelbe Tabletten, nicht größer als eine Reißzwecke, aufbewahrt in kleinen, braunen Glasflaschen. Doch einige lagen schon sortiert auf einem Tablett, bereit für das Abendessen, jede Pille in einem kleinen Kästchen, auf das ein Namensschild geklebt war. Dirk, Ingo, Henk, Gesa und all die anderen Namen. Ich sah sogar in der Ecke ein einsames Kästchen stehen, auf dem Jolanda stand, und mein Herz zog sich zusammen.
    Sie hatten mich mit zusammengebundenen Gliedern auf die Ladefläche eines «LoodenBau»-Lieferwagens gepackt und waren mit mir hierhin gefahren. Niemand hatte uns gesehen, heute war der Tag, wo die Kinder auf Exkursion im Auricher Moor waren, und das Liekedeler-Haus war wie ausgestorben.
    Es schien mir eine Ewigkeit her zu sein, seit einer der beiden Kerle die Tür vor mir zugeschlossen hatte.
    Ich hatte Angst, es war Folter. Eingesperrt sein, mit den Füßen an einen wackeligen Hocker gefesselt, das festgezurrte Klebebandschnitt mir in die Haut, kein Tageslicht im Raum, nur eine unregelmäßig flackernde Neonröhre an der Decke. Suchte irgendwer nach mir?
    Malin und Henk waren nicht mehr aufgetaucht. Wurden auch sie gewaltsam festgehalten? Falls sie frei waren, würden sie mir helfen können? Malin dachte zuerst an Henk, sie würde ihn nie in Gefahr bringen. Eltern stellen sich immer schützend vor ihre Kinder.
    Nur mein Vater nicht. Er war fortgefahren, hatte mich im Stich gelassen. Oder vielleicht doch nicht? Hatten Dr.   Schewe und van Looden dafür gesorgt, dass er nicht zum Hafen kommen konnte? Doch woher wussten sie von seiner Reise nach Spitzbergen? Ich konnte es drehen und wenden, wie ich wollte, es ließ sich kein bequemer Schuh daraus machen: Nur mein Vater wusste, dass ich auf Juist war und mit der Fähre heute Mittag zurückkommen würde. Er war der Einzige, der es ihnen erzählt haben konnte. Und das hätte er nicht tun dürfen. Er hatte mich in diese grässliche Lage gebracht. Von ihm konnte ich keine Hilfe erwarten. Ich war allein.
    Wären meine Hände nicht hinter dem Rücken gefesselt gewesen, dann hätte ich mich am ganzen Körper gejuckt wie eine Wahnsinnige, damit dieses Angstkribbeln auf der Haut wegging, das mich so quälte.
    Keine Ahnung, was mich erwartete. Keine Ahnung, wie lange ich schon hier saß. Ich konnte nur warten.
     
    «Und?», fragte Dr.   Veronika Schewe den Mann, der sich die Gummihandschuhe von den Fingern streifte und den Mundschutz unter seinen eckigen Unterkiefer schob. «Was ist mit Gesa?»
    Er sagte
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