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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser
Autoren: Sandra Lüpkes
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anderes machen sollen? Wir hätten auf eine Taxe warten können, wir hätten mit dem Bus fahren können, wir hätten zu Fuß laufen können. Wir hätten viele Dinge machen können, statt zu einem uns eigentlich völlig Unbekannten in den Wagen zu steigen. Doch er war schließlich derVater von Dirk und Henk, er wollte sicher nichts Schlechtes für seine Söhne. Gab es jemanden, dem man mehr trauen konnte als einem betroffenen Vater?
    Nun ja, meinem Vater konnte man allem Anschein nach nicht trauen, aber das war ein anderes Kapitel. Ein trauriges Kapitel, welches mir immer noch zu schaffen machte, als wir bereits die weitläufige Steintreppe zu van Loodens Herrenhaus emporstiegen.
    «Es ist super hier», sagte Henk, als wir den ersten Blick in die hohe Eingangshalle gewagt hatten. Er hatte Recht: eine unerreichbar hohe, holzgetäfelte Decke; ein blank polierter, blauweiß karierter Fliesenboden; an der einen Seite ein mächtiger Kachelofen, in dem tatsächlich ein Feuer brannte, obwohl die Augusthitze sich bis in diese Halle vorgewagt hatte; an der anderen Seite ein paar Ölgemälde an den Wänden, die eine Ahnenreihe zeigten. Ein wenig kitschig, dachte ich noch, denn die Ahnenreihe war noch nicht besonders lang, im Grunde hingen nur zwei Porträts an der Wand: ein Rencke van Looden mit Frau Wilhelmine, gemalt in den sechziger Jahren, doch mit abgedunkelten Farben auf alt getrimmt. Daneben ein etwas moderneres Gemälde, welches den van Looden zeigte, den ich seit wenigen Minuten kannte: Ulfert van Looden mit Frau Sieglinde. Ein dritter Goldrahmen ein paar Meter weiter war leer. Das war mir entschieden zu affektiert.
    Van Looden folgte meinem Blick und nickte. «Sie fragen sich, auf welches Bild dieser Rahmen wartet, nicht wahr?»
    «Nein, ich denke, dass hier einmal der Nachfolger Ihres Familienunternehmens abgebildet sein wird. Ihr Sohn wahrscheinlich.» Ich sagte es möglichst freundlich, um ihn vielleicht aus seiner Deckung zu locken.
    «Wow, dann wird Dirk hier mal hängen», staunte Henk und ichfing einen viel sagenden Blick auf, der für eine Sekunde zwischen Malin Andreesen und Ulfert van Looden aufflackerte.
    «Sehen Sie, das ist das Problem, das ich meinte. Mein Sohn Dirk ist, nun, wie soll ich sagen, ein wenig   …» Er seufzte. «Gehen wir beide doch in mein Büro.» Van Looden führte mich zu einer Tür, die zwischen den Gemälden lag, und wir betraten einen Raum, der ebenso imposant war wie die Eingangshalle. Dunkle Möbel aus altem, edlem Holz, ein Kronleuchter an der Decke und Fenster, die bis auf den Boden reichten. Im vorderen Bereich stand eine Sitzgruppe, die ebenso in einem Museum für ostfriesische Wohnkultur hätte stehen können, und als wir uns setzten, kam eine Frau in weißer Schürze herein und brachte uns Tee. Ich fühlte mich wie auf einem dieser Plakatwände, die ich bei meiner vorherigen Firma konzipiert hatte.
    Van Looden setzte sich in einen riesigen, mit rotem Samtstoff bezogenen Sessel und schlug die Beine übereinander. «Sehen Sie sich um», sagte er und hielt eine kleine Tasse in seinen kräftigen Händen. «Frau Leverenz, ich liebe mein Haus, ich liebe meine Firma und vor allem liebe ich meine Familie. Verstehen Sie, was ich meine? Diese Dinge sind mir wichtig.» Er schaute sich um, für meinen Geschmack etwas zu großtuerisch. «Es geht nicht ums Geld, es geht nicht um Macht. Ich bin nur stolz, wirklich stolz, auf das Erbe meines Vaters und es ist mein allergrößter Wunsch, dass ich all dies an meinen Sohn weitergeben kann.»
    «Ich kann Sie verstehen», sagte ich, obwohl mir nicht ganz klar war, worauf er hinauswollte.
    «Dirk besucht jetzt seit mehr als zwei Jahren die Stiftung. Er ist ein guter Junge, ich habe ihn wirklich   …», er zögerte, «…   wirklich gern. Doch er schlägt ein wenig aus der Art. Ich hatte gehofft, dass ihm die Ausbildung bei Liekedeler gut tut, dass er vielleicht ein wenig ehrgeiziger wird, ein wenig cleverer. Gut, erbringt ordentliche Noten mit nach Hause und ist der Beste in seiner Klasse, aber das ist es nicht, was ich mir für meinen Sohn wünsche.»
    «Warum erzählen Sie mir das? Ich bin keine Pädagogin, wie Sie sicher wissen.»
    Ich rutschte nervös auf die vordere Kante des Sofas. Irgendwie gefiel mir die Situation nicht. Ich kann noch nicht einmal genau sagen, wodurch sich dieses ungute Gefühl eingeschlichen hatte, doch mir wurde mit einem Mal bewusst, dass ich allein war. Henk und seine Mutter standen vor der Tür, zumindest hoffte
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