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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe
Autoren: Colin Dexter
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viel kompliziertere Frau. Vielleicht... vielleicht konnte sie sich selbst nicht ganz überzeugen, daß sie Myton nur getötet hat, um sich zu verteidigen.»
    «Sie meinen... Sie meinen, daß sie Vergnügen daran gefunden haben könnte?»
    «Das habe ich nicht gesagt, Sir.»
    Strange schüttelte den Kopf. «Aber ich sehe allmählich, worauf Sie hinauswollen. Bereit — das war sie doch? — , Daleys Leiche nach Blenheim zu fahren und...»
    «Sie ist eine komplizierte Frau, wie ich schon sagte, Sir. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie überhaupt verstehe.»
    «Vielleicht ist sie sogar für sich selbst so etwas wie ein Rätsel.»
    Morse erhob sich, um zu gehen. «In allen Fällen das gleiche, oder? Wir verstehen die Motive eigentlich nie. Bei all diesen Dingen sieht es so aus, als gäbe es eine Offenbarung — aber es ist auch immer etwas von einem Geheimnis dabei.»
    «Nun fangen Sie nicht an, mir mit Religion zu kommen, Morse!»
    «Keine Gefahr!»
    «Ich nehme an, daß niemand Daley besonders vermissen wird.»
    «Nein. Er war ein kleiner Mann.»
    «Tatsächlich? Wie groß war er?»
    «Nein. Ich meine nicht klein in dem Sinn. Aber er ivar auch im physischen Sinn klein, ja. Wog nur 53 Kilo.»
    «Woher wissen Sie das?»
    «Sie haben ihn gewogen, Sir — post mortem.»

Kapitel neunundsechzig

    Ebenso wie jeder Mensch seine Eigenarten hat, hat auch jede Schreibmaschine ihre Eigenarten

    (Handbook of Office Maintenance, 9th Edition)

    Am folgenden Tag, Freitag, dem 8. August, wurde Morses Aufmerksamkeit schon früh auf die Leserzuschriftenspalten in der Times gelenkt.

    Von Lt. Colonel Reginald Postill

    Sir, während der vergangenen Jahre sind wir alle uns des zunehmenden Einflusses vom Fernsehen auf Gerichtsverfahren (und Wiederaufnahmeverfahren) bewußt geworden. Wir haben zum Beispiel das Scheitern der Prozesse gegen die Sechs von Birmingham und die Vier von Guildford gesehen, und für die kommenden Jahre können wir zweifellos zuversichtlich dem Freispruch der Zwei von Towcester und des Einen von Winchester entgegensehen.
    Sollen wir uns jetzt in gleicher Weise daran gewöhnen, daß polizeiliche Ermittlungen in den führenden Tageszeitungen der Nation (Ihre eigene, Sir, natürlich eingeschlossen) durchgeführt werden? Wie ich erfahre, hat die Thames Valley Police jetzt im -Fall Anklage gegen Personen erhoben, und dies in beträchtlichem Maß dank den Versen, die ursprünglich in Ihren Spalten abgedruckt wurden. Zweifellos sollten wir dankbar für ein solches Ergebnis sein. Aber stehe ich allein, wenn ein solcher Präzedenzfall mir Sorgen macht? Stehe ich allein, wenn ich meine, daß diese Angelegenheiten, sowohl vor Gericht als in der Ermittlung, besser in den Händen jener Männer und Frauen aufgehoben sind, die in ihren Spezialgebieten entsprechend ausgebildet wurden?

    Mit freundlichen Grüßen
    REGINALD POSTILL
    6 Baker Lane
    Shanklin
    Isle of Wight

    Lewis war in das Büro gekommen, als Morse diese Leserzuschrift las, und pflichtschuldigst las er sie auch.
    «Etwas ungerecht, oder? Ich würde sagen, es hat uns eine ganze Menge geholfen. Ich kann nicht so recht einsehen, was dagegen spricht, wenn wir ein bißchen Unterstützung und Interesse in der Öffentlichkeit finden.»
    «Oh, ich bin ganz Ihrer Meinung», sagte Morse.
    «Vielleicht sollten wir uns nicht allzu viele Gedanken über einen pensionierten alten Colonel von der Isle of Wight machen, Sir.»
    Morse lächelte seinen alten Freund verschmitzt an. «Was veranlaßt Sie zu der Vermutung, daß er pensioniert ist?» fragte er sehr leise.

    Am Abend desselben Tages war Morses Feierstimmung unvermindert, und unmittelbar nach den Archers machte er sich auf den Weg nach Summertown und kam mit vier Flaschen Sekt in seine Wohnung zurück. Nicht der teuerste, zugegeben, doch auch nicht der billigste. Strange, Johnson, Lewis und er selbst. Nur die vier, und nur für ein oder zwei Glas Gratulationssekt. Dr. Laura Hobson war auch eingeladen worden (das verstand sich von selbst), aber sie hatte früher am Abend angerufen, um sich zu entschuldigen — ein dringender Fall; es täte ihr leid, sie wäre gern dabeigewesen, aber da konnte man eben nichts machen, nicht wahr?
    Harold Johnson ging als erster, um 21.15 Uhr. Ein Glas von dem Schaumwein; dann sagte er, daß seine Frau ihn erwarte. Doch von ihnen allen war Johnson an diesem Abend wahrscheinlich der Dankbarste: Das Vorgehen bei der strafrechtlichen Verfolgung von zwei des Mordes verdächtigen
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