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Finstere Gründe

Finstere Gründe

Titel: Finstere Gründe
Autoren: Colin Dexter
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anzufassen, oder, Charlie?»
    Morse stand neben dem Lieferwagen, in Gedanken versunken, so schien es. Dann ging er langsam um den Wagen herum und musterte offenbar aufmerksam den Boden. Aber die Erde war hier hart wie Felsen, nach Wochen wolkenlosen Himmels, und nach kurzer Zeit verlor er das Interesse und ging zurück zum Polizeiauto.
    «Das genügt, Lewis. Fahren wir hinüber zum Pförtnerhaus; es wird Zeit, daß wir uns noch einmal mit Mr. Williams unterhalten.»
    Wie schon vorher war Mr. Williams’ Aussage, was nähere Angaben betraf, vielleicht unbefriedigend, aber in den Grundzügen lieferte sie ein brauchbares Gerüst für den Mord — das einzige eigentlich, das die Polizei hatte. Jedenfalls konnte der springende Punkt — daß Daley am Morgen seiner Ermordung durch das Tor der Combe Lodge gefahren war — ziemlich zuverlässig noch einmal bestätigt werden. Es hatte an dem Morgen viel Hin und Her mit zwei blauen Traktoren mit ihren Anhängern gegeben, die beide drei Fahrten vom Sägewerk hinunter zum Gebiet in der Nähe der Grand Bridge machten, um vor kurzem gefällte Bäume aufzuladen. Williams hatte sich mit den Fahrern abgesprochen (sagte er), und der Transport habe nicht vor 9.45 Uhr begonnen, oder vielleicht etwas später, und wenn es etwas gab, wovon Williams einigermaßen überzeugt war, dann die Tatsache, daß Daley zur gleichen Zeit wie einer der Traktoren durch die Pforte gekommen war — denn obwohl das Tor an dem Morgen ziemlich häufig geöffnet wurde, sei es nicht speziell für den Blenheim-Lieferwagen geöffnet worden — dessen war Williams sich fast sicher. Aber er erinnerte sich genau an den Lieferwagen — in dem Punkt war er sehr bestimmt. Er habe Daley nicht besonders gut gekannt, habe natürlich einigemal mit ihm gesprochen, und Daley sei oft durch die Pforte gekommen, zum Sägewerk und zurück. Gewöhnlich grüßten die, die in Blenheim arbeiteten, einander, indem sie eine Hand hoben. Und dann gab es noch etwas anderes: Daley trug fast immer seinen Hut, auch im Sommer, und, ja, Daley habe an dem Montagmorgen seinen Hut getragen.
    Morse hatte ihm zugesetzt: «Sind Sie da ganz sicher?»
    Williams atmete geräuschvoll aus. Er habe das Gefühl, er sei sich sicher, ja. Aber es war eine schreckliche Sache, ausgefragt zu werden und auszusagen, und er sei jetzt viel weniger sicher in ein oder zwei Dingen, die er vorher gesagt habe. Dieser Schuß zum Beispiel, den er glaubte, gehört zu haben: er sei sich jetzt immer weniger sicher, daß er ihn überhaupt gehört habe. Daher sei es besser, und auch fairer, etwas vorsichtiger zu sein... das sei seine Meinung.
    «Das glaube ich jedenfalls. Das Problem ist eigentlich die Zeit. Verstehen Sie, es könnte ein bißchen später gewesen sein, glaube ich.»
    Aber Morse schien sich nicht mehr für den Zeitpunkt zu interessieren — noch für den Schuß, was das betraf.
    «Mr. Williams! Es tut mir leid, daß ich nicht locker lasse, aber es ist sehr wichtig. Ich weiß, daß Mr. Daley immer seinen Hut trug, wenn er im Park war, und ich glaube Ihnen, wenn Sie sagen, daß Sie seinen Hut gesehen haben. Aber drücken wir es anders aus: Sind Sie sicher, daß es Mr. Daley war, der am Montag morgen den Hut trug?»
    «Sie meinen», sagte Williams langsam, «Sie meinen, daß es vielleicht gar nicht er war, der den Lieferwagen fuhr?»
    «Genau.»
    Oje! Williams wußte nicht... hatte gar nicht an die Möglichkeit gedacht...
    Zwei weibliche Jogger tauchten an der Pforte auf, zwängten sich durch die Schwingtür und setzten ihren Weg in den Park fort; ihre Brüste hüpften, und ihre Beine (von hinten betrachtet) verrieten mit ihrem etwas spreizfüßigen Lauf das schönere Geschlecht. Morse schaute ihnen kurz nach und stellte dann seine letzte Frage:
    «Haben Sie am Montag morgen einen Jogger hier vorbeilaufen sehen, aus dem Park heraus? Etwa um, sagen wir, halb elf? Elf?»
    Williams dachte nach. Während alles andere in seinem Kopf immer mehr durcheinanderzugehen schien, rief diese Frage des Chief Inspector in ihm eine ziemlich lebhafte Erinnerung wach. Er glaubte, daß er jemanden gesehen habe, ja — eine Frau. Am Wochenende gab es immer viele Jogger, doch nicht während der Woche, und gewiß nicht mitten am Vormittag. Er meinte aber, daß er sich an die Frau erinnern konnte, sah sie beinahe vor sich, mit aufrecht stehenden Brustwarzen, die man durch den dünnen Stoff des T-Shirts sehen konnte. Aber war das am Montag morgen gewesen? Die schlichte Wahrheit war, daß
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