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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett
Autoren: Taavi Soininvaara
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anderen Aktivisten dafür zuständig, die finanziellen Mittel für Final Action aufzutreiben. Er würde die Nachricht in Mirandesisch, seiner Muttersprache, schreiben; das verstand kein Außenstehender, aber Gloria würde begreifen, daß sie sich die Nachricht von jemandem übersetzen lassen mußte, der Mirandesisch sprach. Er schaute über die Schulter und sah, daß die Sicherheitsleute nur noch ein paar hundert Meter entfernt waren. Und der Köter, der tollwütig aussah, fletschte vor ihm immer noch die Zähne. Eile war geboten. Was sollte er schreiben? Jorge dachte angestrengt nach, und dann fielen ihm eines nach dem anderen die Worte van der Waals ein, sogar der Name des finnischen Physikers. Auf einer Fahrradtour von Lissabon nach Sevilla hatte Jorge einmal in einer kleinen Grenzstadt namens Elvas übernachtet.
    Jorge schaltete sein Handy ein und tippte in fieberhafter Eile:
»Man hat mich erwischt. Die Verfolger sind keine Polizisten. Helft. Konsortium der Ölkonzerne, geleitet von van der Waal, Assistentin Mary Cash, Physiker werden umgebracht – der Finne Elvas stirbt heute. Engel des Zorns …«
    Die unvollendete Nachricht stieg in den Äther, als Jorge neben dem Kläffen des Schäferhundes schon das Schnaufenund die Schritte der Sicherheitsleute hörte. Er suchte die SMS im Speicher des Handys, um sie zu löschen, als einer der beiden Sicherheitsleute nach dem blutigen Verband griff und ihm den Arm verdrehte. Jorge schrie auf vor Schmerz, aber der Schrei brach ab, als ihm ein Schlag in den Magen den Atem nahm. Einer der Männer zielte mit der Pistole auf Jorges Stirn, und der andere steckte sein Handy ein.
    Die Angst lähmte Jorges Gedanken, als die Sicherheitsleute kurz und heftig auf niederländisch miteinander sprachen, dann nahm ihn der eine an den Beinen, der andere an den Armen. Die Angst wurde zur Panik, als die Männer ihn zu einem Teich schleppten. Das kalte Wasser lief in seine Schuhe, die Füße wurden naß. Jorge Oliveira begriff, was für ein Schicksal ihn erwartete, als ihn eine Hand im Genick packte; in seinem Gehirn explodierte das Entsetzen, und er übergab sich. Sein Kopf wurde in das kühle, trübe Wasser gedrückt, Jorge sträubte und wehrte sich wie ein Tobsüchtiger, er hielt den Atem an, versuchte mit aller Macht, bei Bewußtsein zu bleiben und sich am Leben festzuklammern, an den vom Wasser gebrochenen Lichtstrahlen, an dem Herz, das in seinem Körper hämmerte … Dann begrub die Dunkelheit alles unter sich.

5
    Die Finnen mit ihrem Wohlstand und ihrem hohen Bildungsniveau schwelgten in der Sünde wie die Huren von Sodom und schienen jeden Augenblick der Ausschweifung aus tiefstem Herzen zu genießen. Ezrael hatte sich die Finnen kühl und etwas steif vorgestellt und konnte nicht verstehen, wie es möglich war, daß sie wegen des Ersten Mai völlig den Verstand verloren. Im Hotel Lord feierten Hunderte,der größte Teil von ihnen segelte stark betrunken über das Mosaikparkett im Festsaal des pompösen Jugendstilrestaurants, sie begrapschten einander, kreischten, tanzten … Aber jetzt befand er sich unter Sündern und mußte sich wie sie benehmen … Die Rache würde nur gelingen, wenn er imstande war, die Bestie unter Kontrolle zu halten.
    Ezrael ließ seinen Blick über die gewaltigen grünen Kachelöfen und die kunstvoll geschnitzten Holzornamente der Wandpfeiler in dem zwei Etagen hohen Festsaal wandern. Der Geruch von Alkohol, Parfüm und Schweiß vermischte sich in Ezraels Nase zum lasterhaften Moschus der Sünde. Er hörte dem Blasorchester zu, das Helme und altertümliche Feuerwehruniformen trug und absichtlich falsch spielte, und er begriff nicht, warum das Festpublikum den Auftritt amüsant fand. Der Chor namens Dominante, der vorher aufgetreten war, hatte wenigstens noch ein paar schöne Renaissance-Lieder vorgetragen. Ezrael blätterte im Programm der Maifeier. Obwohl er die Sprache nicht verstand, bemerkte er, daß es schon vor einer Viertelstunde, um sechs Uhr, einen Wechsel des Orchesters hätte geben müssen. Seine linke Hand behielt er wohlweislich in der Hosentasche, denn der Fingerstumpf war ein zu auffälliges Merkmal, das man sich leicht einprägte.
    Eine junge blonde Frau von reiner Schönheit in einem durchsichtigen dünnen Sommerkleid tanzte mitten auf dem Parkett ohne Partner wie in Trance. Berauscht von ihren eigenen Bewegungen, zeichnete sie mit den Armen und Hüften einen Bogen in die Luft wie einst Salome am Hofe des Königs. Durch die verlockende und
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