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Finnisches Quartett

Finnisches Quartett

Titel: Finnisches Quartett
Autoren: Taavi Soininvaara
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Raumkunstwerke schuf. Bei dem Gedanken an ihre neueste Schöpfung, ein Werk aus Fußfesseln, einer Perücke und Zahnpasta mit dem Titel »Gebäck«, bekam Ratamo Kopfschmerzen. Doch als er an Ilona dachte, mußte er lächeln. Bei ihrem ersten Date hatte sie aus Blaubeerkuchen ein Abendessen zubereitet, und beim zweitenmal hatten sie schon stundenlang die Polster des Diwans in ihrem Atelier zerwühlt. Er sehnte sich nach Ilonas Lebensfreude.

4
    Schlüpfrige kleine Gliederfüße piekten auf Lasse Nordmans Schenkel, als irgendein daumengroßes Tierchen zu seinen Lenden hinaufflitzte. Der Haufen aus Zweigen und moderndem Laub bebte, als Lasse vorsichtig den Reißverschluß seines Overalls öffnete und die Hand auf seinen Schenkel gleiten ließ. Das weiche, schleimige Wesen wurde unter dem Handteller zu Brei zerquetscht.
    Der Kommandotrupp von Final Action versteckte sich in einem Wald des Naturschutzgebietes von Meijendel, weit entfernt von den markierten Pfaden, den Naturfreunden und Wanderern. Es war kurz vor neun Uhr morgens. Die dünnen, hohen Wolken filterten das Sonnenlicht,so daß es einen orangefarbenen Ton erhielt; der Duft des Frühsommers vermischte sich mit dem Geruch der verrottenden Blätter. In Holland war es fast immer windig.
    Lasse spannte seine Muskeln an, um warm zu bleiben, und drückte Ulrikes Hand, die an seiner Seite zitterte. Jorge lag rechts von ihm und atmete schwer. Er hatte in der Nacht viel Blut verloren, bevor Lasse eine Aderpresse anlegen konnte. Das Trio war gezwungen gewesen, sich im Gelände zu verstecken, weil der vom Blutverlust geschwächte Portugiese nicht im Laufschritt durch das Naturschutzgelände fliehen konnte. Ein Stöhnen kam über seine Lippen, der Mann brauchte mehr Schmerzmittel und eine Behandlung im Krankenhaus.
    Ohne Jorge wäre die Flucht leicht gelungen: Als ehemaliger Ausbilder für das Überlebenstraining bei der Armee konnte sich Lasse mühelos im Rücken des »Feindes« bewegen, zudem hatte er sich bei der Planung der Fluchtwege nach dem Anschlag gegen Dutch Oil genau mit dem Gelände von Meijendel vertraut gemacht. Zum Glück war Meijendel mit seinen Dünengebieten so ausgedehnt, fast zweitausend Hektar groß, daß die Hunde der Verfolger ihr Versteck nicht unbedingt finden würden. Erst recht nicht, nachdem Lasse hier und da Pfefferspray auf ihre Spuren gesprüht hatte, das würde den Geruchssinn zumindest einiger Hunde betäuben.
    Plötzlich wurde Jorges Atmen zu einem leisen Geheul, und Lasse zischte: »Versuch noch einen Augenblick durchzuhalten. Mir wird schon etwas einfallen«, flüsterte er auf englisch, und Jorges Klage verstummte. Lasse ging noch einmal alle Alternativen durch, aber das änderte nichts an der Wahrheit: Sie konnten nur dann alle drei fliehen, wenn sie ihre Verfolger eliminierten. Doch Final Action akzeptierte keine Gewalt, in welcher Form auch immer.
    Warum lagen sie hier? Die Ereignisse in der Zentrale von Dutch Oil ergaben für Lasse kein verständliches Ganzes. Warum hatten sich die Führer der weltgrößten Ölkonzerne zu einem Konsortium zusammengeschlossen, und warum trafen sie sich mitten in der Nacht? Physiker werden umgebracht … Der Engel des Zorns … Und warum spukte ihm das Gesicht des kleinen dunkelhaarigen Mannes im Kopf herum?
    Er lauschte der Stille, sie wirkte bedrohlich, fast zu perfekt. Von den Sicherheitsleuten van der Waals und den Hunden war kein Laut zu hören. Was würde passieren, wenn die Sicherheitsleute sie fänden? Warum hatten die Gorillas den Transporter beschossen, wollten sie den Wagen anhalten oder sie umbringen? Und wo blieb die Polizei? Lasse spürte, wie er als Kommandeur unter Druck stand. Die Sonne würde erst heute abend gegen neun Uhr untergehen, Jorge mußte jedoch vorher behandelt werden. Am meisten bedrückte Lasse allerdings die Sorge um seine Lebensgefährtin: Wie lange hielt Ulrike in dem kalten Versteck durch?
    Er hatte brennende Lust, die Verfolger herauszufordern, schließlich war er Soldat und Offizier. Das war für ihn seit seiner Kindheit der einzig mögliche Beruf gewesen, genau wie für seinen Vater, den Großvater und viele Generationen der Nordmans vor ihnen. Die Männer seiner Familie hatten in allen finnischen Kriegen vom 16. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Lappland mitgekämpft. Auch seine Soldatenlaufbahn hatte vielversprechend begonnen. Nach dem Studium an der Hochschule für Landesverteidigung und den weiterführenden Studien in den USA schienen ihm alle
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