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Finkenmoor

Finkenmoor

Titel: Finkenmoor
Autoren: Myriane Angelowski
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Bett lag, umfing sie tiefe Zufriedenheit, und sie schlief augenblicklich ein. Das war seit Jahren nicht vorgekommen.

Cuxhaven-Duhnen
    Nach Feierabend schlenderte Ronny durch Duhnen. Touristen verirrten sich zu dieser Jahreszeit selten hierher. Die wenigen Hartgesottenen trieb ein böiger Wind jetzt zielstrebig vom Strand in Restaurants oder scheuchte sie in kleine Läden, in denen Windspiele, Regenjacken und Kaffeebecher mit Nordseemotiven auf Käufer warteten.
    Am Abend zuvor war Ronny die Herstellung des Betäubungsmittels gelungen. Zuerst hatte er die Wirkung in einem Selbstversuch ausprobieren wollen, es dann aber nur halbherzig eingeatmet. Allein davon brannte ihm immer noch die Nase. Aufgekratzt war er zu Bett gegangen, hatte sich wie unter Strom gefühlt und versucht, seiner Idee Struktur zu geben. Tausend Fragen hielten ihn wach, Bedenken flammten auf. Angst und Hochgefühl kämpften um die Vorherrschaft. Schließlich überwog Begeisterung. Sein Vorhaben versetzte Ronny in einen rauschähnlichen Zustand.
    Zum Leidwesen seiner Mutter hatte er wieder ihr Frühstück verschmäht und war förmlich aus dem Haus geflohen. Der Arbeitstag zog sich dann allerdings wie Kaugummi und verlangte seiner Geduld einiges ab. Immerhin hatte er nun Feierabend, der Rest des Tages gehörte ihm.
    Der silberne Toyota parkte auf dem Gehweg. Schon deshalb fiel er ihm auf. Den Jungen, der aus dem Auto kletterte, schätzte Ronny auf höchstens sechs Jahre. Unter der roten Mütze guckten weißblonde Haare hervor, die Buddelhose steckte in Gummistiefeln mit Starwars-Motiven.
    »Hast du deine Jacke zugemacht?« Eine Frau mit akkuratem Pagenkopf, die auf dem Fahrersitz saß, tippte auf ihrem Navigationsgerät herum und schien damit vollauf beschäftigt.
    Der Kleine beantwortete ihre Frage nicht. Stattdessen hüpfte er summend über den Bürgersteig. In der Hand hielt er einen dieser altmodischen Drachen aus dünner Plastikfolie, mit dem Konterfei eines Adlers bedruckt, der durch das Einschieben dreier dünner Stäbchen seine Flügel spreizte.
    Im Vorbeigehen las Ronny den vergilbten Aufkleber an der Heckscheibe. »Jan-Luca on Tour«.
    Er vermied es, den Knirps weiter anzusehen, und betrat Metschers Selbstbedienungsrestaurant in der Ortsmitte. Wenige Minuten später saß Ronny an einem der Tische, Kaffee sowie ein Krabbenbrötchen vor sich, und starrte auf die Straße. Die Linie 1001 hielt direkt vor dem Fenster und spuckte drei Fahrgäste aus. Ronny aß mit Genuss. Äußerlich wirkte er ruhig. Lediglich das leichte Zittern seiner Hände verriet seine Anspannung. Die Blondine hinter der Theke polierte Wasserflecken von Gläsern. Im Radio lief »Somewhere over the rainbow«. Ronny mochte das Lied nicht und ahnte, dass er diese Melodie den Rest des Tages nicht aus dem Kopf bekommen würde.
    Als eine Gruppe junger Männer lautstark hereinkam, verließ Ronny das Bistro und stieg keine Minute später die Stufen zur Düne hinauf. Über der Nordsee hing feuchter Nebel. An klaren Tagen konnte man in der Ferne Containerschiffe und Überseedampfer sehen, die wie riesige Geisterschiffe in der Elbfahrrinne fuhren. Auch Neuwerk lag in Sichtweite. Pferdewagen brachten Urlauber während der Saison durch das Watt zu der vorgelagerten Insel, kutschierten in Kolonne durch die Ebbe. Parallel machten sich Horden von Wanderern durch den Schlick auf den Fußmarsch. Tagtäglich das gleiche Schauspiel.
    Dabei wurden die Gefahren im Watt nicht selten unterschätzt. Blitznebel, unerwartet tiefe Priele, die plötzlich einsetzende Flut, überschätzte körperliche Kräfte. Jedes Jahr kam es zu Rettungsaktionen und auch Todesfällen. Erst in diesem Sommer war ein Rentner im Watt zusammengebrochen. Trotz Wiederbelebungsversuchen durch herbeigeeilte Urlauber keine Chance. Mit solchen Katastrophen war es nun erst einmal vorbei. In den Wintermonaten atmeten die Cuxhavener durch, bevor sie sich für den nächsten Ansturm rüsteten.
    Mit großen Schritten näherte sich Ronny dem »Leuchtfeuer«. Einerseits war das Restaurant nicht nach seinem Geschmack. Gerichte wie Ziegenkäsestrudel mit Mangochutney oder Möhren-Koriander-Suppe hielt er schlichtweg für überflüssig. Er mochte es deftig und bodenständig, da glich er ausnahmsweise seinem Vater. Andererseits boten die Panoramafenster einen wunderbaren Blick auf das Meer. Deswegen saß er hier manchmal bei Kaffee und Kuchen. Heute ließ er das Restaurant links liegen und sprang die wenigen Stufen zum Strand hinunter.
    Er
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