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Fiesta

Fiesta

Titel: Fiesta
Autoren: Ernest Hemingway
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zurück. Ich sah ihr Gesicht im Licht der offenen Läden, dann war es wieder dunkel, und dann sah ich ihr Gesicht ganz deutlich, als wir auf die Avenue des Gobelins kamen.
    Die Straße war aufgerissen, und Männer arbeiteten beim flackernden Schein des Acetylenlichts auf den Straßenbahngleisen. Bretts Gesicht war weiß, und die lange Linie ihres Halses glänzte in dem hellen Licht. Die Straße lag wieder in Dunkelheit, und ich küßte sie. Unsere Lippen lagen fest aufeinander, und dann wandte sie sich weg und preßte sich in die Ecke ihres Sitzes, so weit weg, wie sie nur konnte. Sie hielt den Kopf gesenkt.
    «Faß mich nicht an», sagte sie, «bitte, faß mich nicht an.»
    «Was ist denn?»
    «Ich kann es nicht aushalten.»
    «O Brett.»
    «Du darfst nicht. Du mußt es verstehen. Ich kann’s nicht aushalten, das ist alles. Bitte, versteh’s doch, Liebster.»
    «Liebst du mich denn nicht?»
    «Lieben? Wenn du mich anfaßt, komm ich einfach um.»
    «Kann man denn da nichts machen?»
    Sie saß jetzt aufrecht. Ich hatte den Arm um sie gelegt, und sie lehnte sich an mich, und wir waren beide ganz ruhig. Sie sah mir in die Augen mit ihrer Art einen anzublicken, daß man sich fragte, ob sie einen wirklich mit ihren leibhaftigen Augen ansah. Sie sahen und sahen, wenn alle anderen Augen in der Welt längst aufgehört haben würden, einen anzusehen. Sie sah einen an, als ob es auf der ganzen Erde nichts gibt, das sie nicht ebenso ansehen würde, und in Wirklichkeit hatte sie doch vor so vielen Dingen Angst.
    «Gott, und daß man da nichts machen kann!» sagte ich.
    «Ich weiß nicht», sagte sie. «Ich will diese ganze Hölle nicht noch einmal durchmachen.»
    «Wir sehen uns besser nicht.»
    «Aber Liebster, ich muß dich sehen. Weißt du, es ist ja nicht nur das. »
    «Aber es endet doch immer damit.»
    «Das ist meine Schuld. Wir müssen eben für alles, was wir tun, bezahlen.»
    Sie hatte mir die ganze Zeit über in die Augen gesehen. Ihre Augen hatten verschiedene Tiefen, manchmal schienen sie vollkommen flach. Jetzt konnte man tief in sie hineinsehen.
    «Wenn ich so daran denke, wie ich Leuten die Hölle heiß gemacht habe. Jetzt rächt es sich an mir.»
    «Red nicht so dumm», sagte ich. «Außerdem soll das, was mir passiert ist, komisch sein. Ich denke doch kaum daran.»
    «O nein.»
    «Komm, wir wollen nicht mehr davon reden.»
    «Ich hab auch mal darüber gelacht.» Sie sah mich jetzt nicht an. «Ein Freund meines Bruders kam so von Mons zurück. Es schien wahnsinnig komisch. Man hat eben keine Ahnung, nicht?»
    «Nein, kein Mensch hat je die geringste Ahnung.»
    Die Angelegenheit war für mich beinahe erledigt. Zu irgendeiner Zeit hatte ich sie natürlich von allen erdenklichen Gesichtspunkten aus betrachtet, auch die inbegriffen, daß gewisse Verletzungen und Verstümmelungen für andere Leute eine Quelle des Amüsements sind, während sie für den Menschen, der sie hat, einen durchaus ernsthaften Charakter tragen.
    «Es ist spaßig. Es ist sehr spaßig», sagte ich. «Außerdem macht das Verliebtsein auch Spaß.»
    «Findest du?» Ihre Augen sahen wieder ganz flach aus.
    «Ich meine nicht richtig Spaß. In einer Hinsicht ist es ein erfreuliches Gefühl.»
    «Nein», sagte sie. «Ich finde, es ist die Hölle auf Erden.»
    «Aber es ist doch gut, sich zu sehen.»
    «Nein, ich find’s nicht.»
    «Willst du nicht?»
    «Ich muß ja.»
    Wir saßen jetzt wie zwei Fremde da. Zur Rechten lag der Park Montsouris. Das Restaurant mit dem Teich mit den lebenden Forellen, wo man draußen sitzen kann und über den Park hinwegsieht, war geschlossen und dunkel. Der Chauffeur drehte sich nach uns um.
    «Wo willst du hin?» fragte ich. Brett wandte ihren Kopf weg.
    «Ach, nach dem Sélect.»
    «Café Sélect», sagte ich dem Chauffeur. «Boulevard Montparnasse.»
    Wir fuhren gerade hinunter, um den Lion de Beifort herum, der die vorbeifahrenden Montrouge-Elektrischen bewacht. Brett sah starr vor sich hin. Auf dem Boulevard Raspail, als die Lichter von Montparnasse in Sicht kamen, sagte Brett: «Nimmst du’s mir sehr übel, wenn ich dich um etwas bitte?»
    «Sei doch nicht komisch.»
    «Küß mich noch mal, bevor wir da sind.»
    Als das Taxi hielt, stieg ich aus und bezahlte. Brett stieg aus und setzte sich ihren Hut auf. Sie gab mir beim Aussteigen die Hand. Ihre Hand zitterte. «Sag mal, seh ich sehr wüst aus?» Sie zog ihren Männerfilzhut ins Gesicht und ging zur Tür hinein. Drinnen an der Bar und an den verschiedenen
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