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Fiesta

Fiesta

Titel: Fiesta
Autoren: Ernest Hemingway
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war, an einem Tisch auf der Terrasse des Napolitain, sah zu, wie es dunkel wurde und die Lichtreklamen und das rote und grüne Verkehrssignal aufflammten und wie die Menge vorbeiflanierte und die Pferdedroschken neben dem starken Autoverkehr am Rande entlangjockelten, und wie die poules einzeln und zu zweit vorbeigingen und nach ihrer Abendmahlzeit Umschau hielten. Ich sah ein gutaussehendes Mädchen, das an meinem Tisch vorbeiging, beobachtete, wie sie die Straße hinaufging, und verlor sie dann aus den Augen; dann beobachtete ich eine andere, und dann sah ich die erste wieder zurückkommen. Sie ging noch einmal vorbei, und ich fing ihren Blick auf, und sie kam heran und setzte sich an meinen Tisch. Der Kellner kam.
    «Was willst du trinken?» fragte ich.
    «Pernod.»
    «Das ist nicht gesund für kleine Mädchen.»
    «Bist wohl selber ein kleines Mädchen? Dites, garçon, un pernod.»
    «Für mich auch einen Pernod.»
    «Was ist los? Hast du nachher was vor?» fragte sie.
    «Natürlich. Du nicht?»
    «Ich weiß nicht.»
    «In dieser Stadt soll man wissen.»
    «Hast du Paris nicht gern?»
    «Nein.»
    «Warum gehst du nicht irgendwo anders hin?»
    «Gibt nichts anderes.»
    «Bist schon ganz gut dran.»
    «Gut dran. Ich danke.»
    Pernod ist ein grünlicher Absinthersatz. Wenn man Wasser zugießt, wird er milchig. Er schmeckt wie Lakritzensaft, pulvert einen kolossal auf, aber man fällt auch genauso schnell wieder ab. Wir saßen und tranken. Das Mädchen sah mürrisch aus.
    «Na», sagte ich, «willst du mir mein Essen bezahlen?»
    Sie grinste, und ich sah, daß sie mit Absicht nicht lachte. Wenn sie den Mund geschlossen hielt, sah sie sehr nett aus. Ich bezahlte, und wir gingen auf die Straße. Ich rief eine Droschke an, und der Kutscher bremste an der Bordschwelle. Zurückgelehnt in der langsam sanft rollenden Droschke fuhren wir die Avenue de l’Opera hinauf, fuhren an geschlossenen Ladentüren vorbei, an erleuchteten Fenstern; die Avenue lag breit und glänzend und beinah ausgestorben da. Die Droschke fuhr am Büro des New York Herold vorbei, mit seinem Fenster voller Uhren.
    «Wozu sind all die Uhren gut?» fragte sie.
    «Sie zeigen an, wieviel Uhr es in den verschiedenen Städten Amerikas ist.»
    «Nimm mich nicht auf den Arm.»
    Wir bogen von der Avenue in die Rue des Pyramides, durch den Verkehr der Rue de Rivoli und durch ein dunkles Gitter in die Tuilerien ein. Sie kuschelte sich an mich, und ich legte meinen Arm um sie. Sie hob den Kopf, um geküßt zu werden. Sie berührte mich mit der Hand. Ich schob sie zur Seite.
    «Laß das.»
    «Was ist los? Krank?»
    «Ja.»
    «Alle sind krank. Ich bin auch krank.»
    Wir kamen aus den Tuilerien ins Licht und überquerten die Seine und fuhren dann die Rue des Saints-Péres hinauf.
    «Wenn du krank bist, solltest du keinen Pernod trinken.»
    «Du auch nicht.»
    «Bei mir ist es egal. Bei ‘ner Frau ist es egal.»
    «Wie heißt du?»
    «Georgette. Und du?»
    «Jacob.»
    «Das ist ein flämischer Name.»
    «Auch amerikanisch.»
    «Bist du Flame?»
    «Nein, Amerikaner.»
    «Um so besser, Flamen kann ich nicht ausstehen.»
    Inzwischen waren wir beim Restaurant angekommen. Ich ließ den Kutscher halten. Wir stiegen aus, Georgette mißfiel das Äußere des Restaurants. «Kein sehr fabelhaftes Lokal.»
    «Nein», sagte ich, «vielleicht würdest du lieber zu Foyot gehen? Warum behältst du die Droschke nicht und fährst weiter?»
    Ich hatte sie in dem vagen sentimentalen Gefühl aufgelesen, daß es vielleicht netter wäre, nicht allein zu essen. Es war lange her, daß ich mit einer poule gegessen hatte, und ich hatte vergessen, wie öde es sein konnte. Wir gingen ins Lokal, an Madame Lavigne, die hinter der Kasse saß, vorbei in ein kleines Zimmer. Georgette blühte beim Essen ein wenig auf.
    «Gar nicht schlecht hier», sagte sie. «Schick ist es nicht, aber das Essen ist nicht schlecht.»
    «Besser, als du in Lüttich ißt.»
    «Du meinst Brüssel.»
    Wir tranken die zweite Flasche Wein, und Georgette machte einen Witz. Sie lachte und zeigte alle ihre schlechten Zähne, und wir stießen an.
    «Du bist kein schlechter Kerl», sagte sie. «Eine Schande, daß du krank bist. Wir verstehen uns gut. Was fehlt dir eigentlich?»
    «Kriegsverletzt», sagte ich.
    «O dieser Saukrieg.»
    Vielleicht hätten wir uns noch weiter in dieser Art unterhalten und über den Krieg diskutiert und darin übereingestimmt, daß er für die Kultur wirklich eine Schande und darum besser vermieden
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