Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fieber an Bord

Fieber an Bord

Titel: Fieber an Bord
Autoren: Alexander Kent
Vom Netzwerk:
genug ausgesprochen hatte. Bis auf seinen Bootsführer John Allday kannte Bolitho sonst niemanden, der es wagte, durch offene Worte seinen Zorn herauszufordern.
    Alte Erinnerungen wurden wach, als die Te m pes t vor zwei Monaten in Madras geankert hatte. Während seine Bootsmannschaft sich verzweifelt bemühte, ihren Kommandanten durch die wilde Brandung zu rudern, ohne daß er bis auf die Haut durchnäßt wurde, hatte er sich an seinen ersten Besuch erinnert. Damals hatte er Viola Raymond, die Frau des Beraters der Britischen Regierung bei der Hast India Company, als Passagier an Bord gehabt. Herrick hatte ihn damals offen vor den Gefahren einer Affäre gewarnt, vor dem Risiko für seinen guten Namen und seine Karriere in einem Beruf, den er liebte.
    Automatisch tastete er nach der Uhr in seiner Tasche: Viola hatte sie ihm als Ersatz für jene geschenkt, die in einem Gefecht zerschossen worden war.
    Wo mochte Viola jetzt sein?
    Bei seinem kurzen Aufenthalt in England war er auch nach London gefahren. Zwar hatte er sich gesagt, er wolle nicht wirklich versuchen, sie wiederzusehen, wolle nur an ihrem Haus vorbeigehen und sehen, wo sie lebte. Doch er hatte genau gewußt, daß das Selbstbetrug war. Dabei hätte er sich ebensogut mit der Erinnerung begnügen können. Denn das Haus war, von der Dienerschaft abgesehen, leer. James Raymond und seine Frau weilten im Auftrag der Regierung im Ausland, wie ihm Raymonds Hauswart, abweisend bis zur Beleidigung, verkündete. An Bord mochte ein Kommandant zwar gleich nach Gott kommen, doch in den Straßen von St. James hatte er gar keine Bedeutung.
    Bolitho hörte Herrick rufen: »Klar zum Ankern, Mr. Jury?« Jury, der Bootsmann mit der breiten Brust, brauchte keinen Hinweis auf seine Pflichten bei den Ankergasten; folglich mußte Herrick Bolithos Stimmung erraten haben und versuchte nun, ihn herauszureißen.
    Bolitho lächelte wehmütig. Herrick kannte er schon, seit er das Kommando der Phalarop e übernommen hatte, und seither waren sie selten getrennt ge wesen. Herrick hatte sich nicht sehr verändert. Vielleicht war er nun etwas breiter, aber das runde, offene Gesicht mit diesen leuchtend blauen Augen, die so vieles mit ihm gemeinsam gesehen hatten, war sich gleichgeblieben. Wenn, wie Bolitho jetzt vermutete, seine kurze Affäre mit Viola Raymond höheren Orts aufgefallen war, dann mußte auch Herrick darunter leiden, und das ohne jeden Grund. Dieser Gedanke wurmte Bolitho und stimmte ihn traurig. Vielleicht würde der Kommodore etwas Licht in die Dinge bringen. Aber diesmal wollte er nicht hoffen; er wagte es nicht.
    Bolitho dachte an seine Depeschen, an die zusätzlichen Nachrichten, die er Kommodore James Sayer überbrachte. An Sayer erinnerte er sich gut, er war ihm ein- oder zweimal in Cornwall begegnet. Vorher hatten sie im selben Geschwader in Amerika gedient, beide als Leutnants. Während der letzte Salutschuß noch in der Luft widerhallte, glitt die Tempes t die letzte halbe Kabellänge* zu ihrem Ankerplatz.
    Bolitho sagte knapp: »Wenn Sie soweit sind, Mr. Herrick?« Herrick hob das Sprachrohr, seine Antwort war ebenso förmlich. »Aye, aye, Sir.« Dann rief er: »An die Leebrassen! Klar zum Aufschießen!«
    Die reglosen Matrosen erwachten zum Leben.
    »Marsbrassen los!«
    Bolitho sah Thomas Gwyther, den Schiffsarzt, die Backbordgangway entlangkommen, wobei er versuchte, den geschäftigen Matrosen auszuweichen. Wie wenig war er mit dem letzten Arzt zu vergleichen, den Bolitho an Bord gehabt hatte. Das war ein gewalttätiger, herrschsüchtiger Trunkenbold gewesen, der es zugelassen hatte, daß seine Leidenschaft für den Alkohol, aber auch die Erinnerungen, die er damit hatte auslöschen wollen, ihn völlig zerstörten. Gwyther nun war ein gebeugter, ausgemergelter, kleiner Mann mit zottigem, grauem Haar, dessen gebrechliche Erscheinung seiner offenkundigen Zähigkeit und Ausdauer keineswegs entsprach. Er erfüllte bereitwillig seine Pflichten, zeigte aber an Land jedesmal weit mehr Interesse für die Vegetation als für die Menschen.
    »Gei auf die Marssegel!«
    Der Steuermann befahl mit seiner trockenen, nüchternen Stimme: »Ruder hart Backbord!«
    Die Tempes t gehorchte dem Ruder und der abflauenden Brise, drehte sich langsam über ihrem Spiegelbild und verlor an Fahrt. Auf den Decks wurde es noch heißer als zuvor, als auch das letzte Segeltuch aufgegeit und festgezurrt wurde.
    »Fallen Anker!«
    Bolitho hörte das vertraute Klatschen am Bug und hatte dabei vor
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher