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Fey 02: Das Schattenportal

Fey 02: Das Schattenportal

Titel: Fey 02: Das Schattenportal
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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sondern Holz.
    Sie war erleichtert. Seit die Fey auf der Blauen Insel eingefallen waren, hatte Solanda befürchtet, die Inselbewohner besäßen mehr Zauberkräfte, als die Fey vermuteten, und daß ein Fey eines Tages mit etwas in Berührung kommen würde – mit einem Toten oder einem bestimmten Nahrungsmittel – und auf ebenso scheußliche Weise sterben würde wie durch das giftige Wasser. Das war einer der Vorteile von Solandas Katzengestalt: In diesem Zustand hatte sie eine natürliche Abneigung gegen Wasser.
    Solanda erhob sich und näherte sich von neuem dem verdächtigen Gegenstand. Diesmal versetzte sie ihm mit der Pfote einen kräftigen Schubs. Das Ding rollte auf sie zu und traf ihre Vorderbeine. Solanda beschnüffelte es: Es roch nach Staub, trockenem Holz und noch etwas anderem, etwas, das einem schwächeren Geruchssinn niemals aufgefallen wäre.
    Babyschweiß.
    Solanda stieß den Ball von sich und bemerkte, daß er zwei einander gegenüberliegende Löcher besaß. Vielleicht hatte man eine Schnur hindurchgezogen oder einen Stock hindurchgesteckt, um daraus ein Spielzeug für ein sehr kleines Kind zu machen.
    Ein Baby.
    Jetzt ergab auch die Stimme in Solandas Kopf einen Sinn. Sie hatte die Lichtung nicht besonders gründlich abgesucht. Ein Kinderskelett war schwieriger zu finden als das eines Erwachsenen.
    Solanda schubste den Ball ein wenig durchs Zimmer und erfreute sich an dem Geräusch von Holz auf Holz. Dann rollte er wieder – das Haus war offensichtlich nicht ganz eben – in seine Ecke, und Solanda verließ die Hütte.
    Ein Baby. Das änderte alles. Die Fußsoldaten waren angewiesen, Babys zu entführen, anstatt sie zu töten, aber wenn sie das Kind nicht entdeckt hatten, war es wohl verhungert. Wenn es schon krabbeln konnte, war es vielleicht zum Sterben in den Hof gekrochen. Und wenn die Leute nicht bei einem Überfall der Fey ums Leben gekommen waren, sondern durch etwas anderes, war sicher auch ihr Baby davon betroffen.
    Aber Solanda hatte das Gefühl, daß das Kind gar nicht tot war. Und wenn es noch lebte, würde sie es finden.

 
3
     
     
    Der Rocaan hatte es auf die Handfläche gelegt: ein winziges Knöchelchen, ungefähr so groß wie seine Daumenspitze. An seinem Ende hing noch ein sehniges Stück Materie – Fleisch, Muskelgewebe, er war sich nicht ganz sicher –, als könnte man daran ablesen, von wem es stammte. Oder von was. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und erschauerte trotz des im Kamin bullernden Feuers. Seit fast einem Jahr war ihm jetzt schon kalt, und er vermutete, daß die Kälte nicht von draußen herrührte.
    Die Gobelins vor den Fenstern waren fest verschlossen. Seit der Invasion hatte er nicht erlaubt, sie zu entfernen. Seine Erinnerung an die Leichen im Hof hatte ihm den Ausblick verleidet. Nun kam jeden Morgen ein Aud herein, der alle Lampen anzündete und damit die Stiche an der Wand in Licht tauchte.
    Dem Rocaan gegenüber saß Matthias mit seinen zerzausten Locken. Ohne sein Barett sah er eigenartig aus, wie jemand, der erst vor kurzem aufgestanden und noch nicht richtig bei sich war. Seine Schärpe war verdreht, und auf der Schulter seines Gewandes waren Schmutzspuren zu sehen. Selbst im Getümmel der Schlachten um Jahn hatte Matthias nicht so verwahrlost ausgesehen.
    »Seid Ihr sicher, daß das von einem Menschen stammt?« erkundigte sich der Rocaan. Er hatte noch nie zuvor einen Knochen gesehen, zumindest noch keinen skelettierten. Er kannte nur die Knochen, die die Köche den Wachhunden zuwarfen, die das Flußufer hüteten.
    Matthias nickte. »Ich kenne mich aus mit Leichen«, sagte er. »Das hier stammt von einem Menschen.«
    Und dann fiel es dem Rocaan wieder ein: Als Matthias noch ein Aud war, hatte er zu der Gruppe gehört, die die Leichen aus den Sümpfen von Kenniland geborgen hatte. Einige davon waren bei einem besonders garstigen Unwetter an die Oberfläche getrieben worden, woraufhin jemand – womöglich der gebildete Matthias – die Vermutung geäußert hatte, daß wohl noch mehr im Sumpf begraben lägen. Sie mußten schon lange dort gelegen haben. Der Rocaan hatte die Bestattung zwar überwacht, doch bei seiner Ankunft waren die Leichen bereits in die Särge gelegt worden. Die Auds und die Stadtleute hatten beinahe einen Monat gebraucht, um die Skelette aus dem Sumpf zu rekonstruieren. Sie vermuteten, daß die Toten Opfer des Bauernaufstandes gewesen und in einem Massengrab beerdigt worden waren.
    »Aber wie kommt das in die Sakristei?«
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