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Fey 01: Die Felsenwächter

Fey 01: Die Felsenwächter

Titel: Fey 01: Die Felsenwächter
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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unterzeichnet. Sein Abendessen hatte er allein eingenommen. Jetzt aber mußte er sich auch noch in seiner Freizeit mit Regierungsgeschäften auseinandersetzen. Nicht einmal dem König war es gestattet, einen Ältesten des Tabernakels abzuweisen. Matthias war für Alexanders Geschmack schon viel zu lange hier, ohne Auskunft darüber zu geben, warum er an diesem düsteren Abend die Räume des Königs aufgesucht hatte.
    Matthias’ blonde Locken ringelten sich bis auf seine Schultern, und sein Schnurrbart glänzte feucht vom Glühwein. Er trug immer noch das rituelle Gewand des Mitternachtssakraments, den langen schwarzen Talar mit der leuchtend roten Schärpe und das zierliche Filigranschwert, das an einer Halskette hing. Sein Barett hatte er auf dem mit Schnitzereien verzierten Holztischchen neben sich abgelegt. Das Gewicht der Kappe hatte die Haare flach an seinen Kopf gedrückt.
    »Hoheit«, sagte Matthias lächelnd, »Ihr wißt bestimmt, daß Ihr damit einen armen Tropf aus tiefstem Schlummer reißt?«
    »Das ist mir gleichgültig.« Alexander erhob sich und schenkte Wein aus einem kleinen Krug nach, der über dem Feuer hing. Die Wärme der Fliesen direkt am Kamin drang durch seine ledernen Hausschuhe. »Sie hätten die Gobelins eben schon beim Aufhängen richtig befestigen sollen.«
    Matthias stellte seinen braunen Becher ab und zupfte seine Kleidung zurecht. »Das schlechte Wetter verstimmt uns alle, Sire, aber deswegen haben wir noch kein Recht, die Dienerschaft zu mißbrauchen.«
    Oder andere in müßiges Geplauder zu verwickeln. Aber Alexander sagte nichts. Bereits vor langer Zeit hatte er begriffen, daß Matthias erst dann verstand, daß seine Gesellschaft unerwünscht war, wenn man sich in völliges Schweigen hüllte.
    Alexander hängte den Schöpflöffel wieder an seinen Platz neben dem Kamin. Vorsichtig, um den Inhalt des Bechers nicht zu verschütten, ging er an seinen Platz zurück. »Ich mißbrauche die Diener nicht«, widersprach Alexander. »Im Gegenteil, ich behandele sie zu nachsichtig. Sie haben ja schon fast die Kontrolle im Palast übernommen. Im Tabernakel ist das anders. Die Auds gehen barfuß. Beschuldigt mich also nicht, meine Diener zu mißbrauchen.«
    »Auds sind keine Diener, Sire. Wenn sie erst einmal Schuhe bekommen, werden sie es zu schätzen wissen.« Matthias streckte seinen Fuß aus. Er trug Sandalen, aber seine Füße waren von den langen Jahren des Barfußlaufens völlig vernarbt. »Glaubt mir, sie genießen die wenigen Bequemlichkeiten, die ihnen gewährt sind.«
    Alexander stieß einen Seufzer aus. Er und Matthias waren gemeinsam erzogen worden, aber als Zweitgeborener hatte Matthias der Kirche beitreten müssen. Alexander war als Einzelkind vom Augenblick seiner Geburt an dazu bestimmt, über die Blaue Insel zu herrschen. Matthias gelang es jedesmal, Alexander an die Unterschiede zwischen ihnen zu erinnern.
    »Diener dürfen durchaus aufgeweckt werden, um für mein Wohlbefinden in einer regnerischen Nacht zu sorgen«, sagte Alexander eine Spur zu barsch.
    »Natürlich«, lächelte Matthias. »Aber vielleicht darf ich noch kurz darauf hinweisen, daß auf diesem Gobelin jene Revolte abgebildet ist, die Euren Urgroßvater zum Krüppel machte.«
    Alexander lachte auf. Seine Anspannung ließ plötzlich nach. Der Regen machte ihn melancholisch. Er erinnerte ihn an den vergangenen Winter, als seine zweite Frau gestorben war, Opfer eines Geistes, der mit einem kühlen Luftzug in sie eindrang und sich in ihren Lungen einnistete.
    Obwohl sie in den Jahren ihrer Ehe meist zurückhaltend und still gewesen war, vermißte Alexander sie mehr, als er sich eingestehen wollte. Zur Abendstunde hatte sie ihm gegenübergesessen, und während ihre Nadel geräuschlos durch den Stoff geflogen war, hatte er geruhsam seinen Gedanken nachgehen können. Ihre Stickereien waren zwar nie so schön wie die seiner Mutter geworden, aber die Themen waren gefälliger.
    Alexander nahm einen Schluck Wein. Er war stark gewürzt, und die Wärme kaschierte den Alkoholgehalt. Der Honiggeschmack des Met sagte ihm mehr zu. Heute nacht jedoch war er dem Wunsch seines Gastes nachgekommen. Im Tabernakel konnte Matthias keinen Glühwein bekommen.
    »Wenn dieser Regen noch länger anhält, verrottet die Ernte direkt an den Wurzeln«, sagte Matthias.
    Alexander seufzte leise in seinen Becher, aber Matthias schien dieser zarte Hinweis zu entgehen. Er kam einfach nicht zur Sache. Alexander wollte eigentlich vermeiden, daß dieser
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