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Feuersteins Reisen

Feuersteins Reisen

Titel: Feuersteins Reisen
Autoren: Herbert Feuerstein
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Quadratkilometer haben acht Leute — unser Team, der Ranger, der Pilot und die Aufnahmeleiterin aus Anchorage — Anspruch auf sechzehn Quadratkilometer. Fünfzehn, wenn wir exakt sein wollen, denn Frauen sind in der Wildnis nur die Hälfte wert, das wissen wir aus den alten Western, die noch die Wahrheit sagten. Ist auch egal, fünfzehn oder sechzehn, von den uns zustehenden Quadratkilometern benutzten wir ohnehin nur zwei oder drei.
    Faszinierender als die Großzügigkeit des Raumes war für mich auch hier wieder der ständig erlebte amerikanische Widerspruch: Auf der einen Seite das Land mit der größten Verschwendung und dem meisten Müll in der ganzen Welt, auf der anderen ein Naturschutzprinzip von fast penetranter ökologischer Perfektion. Unser Ranger vom Typ Lederstrumpf war der ewig misstrauische Wächter im Paradies. Da für ihn Menschen eindeutig nicht zu den Naturgeschöpfen zählen, behandelte er uns wie Besucher in der Intensivstation: Nichts anfassen, keine Spuren hinterlassen, möglichst nicht ausatmen. Wahrscheinlich hätte er am liebsten hinter jedem unserer Schritte die Grashalme wieder glattgebügelt. Und als er dahinterkam, dass wir einem halbzahmen Fuchs, der immer um die Hütte schlich, ein paar Fischbrocken hinlegten, um ihn vor die Kamera zu kriegen (was auch gelang und im Film ganz süß aussieht), drehte er fast durch vor Ärger und redete bis zum Abflug nicht mehr mit uns, was uns aber nicht auffiel, da er auch vorher nicht mit uns geredet hatte (wir erfuhren es vom Piloten). Zum Glück hatte er da schon mein Zelt aufgebaut, sonst hätte er neben den Ameisen womöglich auch noch Stinktiere oder Wolpers reingelockt.
    Mit einer lichten Höhe von drei Metern sind die Kodiak-Bären die größten der Welt, und wenn kein Zoogitter vorhanden ist, wirken sie gleich noch mal so groß. Wir haben natürlich beim Drehen ein wenig geschummelt: Ganz so nah, wie es im Film aussieht, standen sie dann doch nicht neben mir, aber beklemmend war es schon, vor allem der Weg zum Seeufer, wo sie im seichten Wasser mit ihren Jungen spielten, durch dichtes Buschwerk auf eine Anhöhe, um der Kamera Überblick zu verschaffen.
    »Aufrecht gehen und viel Lärm machen«, steht in der Broschüre über den Umgang mit Bären, denn Amerika ist das Wunderland der Produkthaftung, und nur durch ausführlichste Information kann sich die Parkbehörde dagegen schützen, von Besuchern auf eine Milliarde Dollar Schadenersatz verklagt zu werden, weil ein Bär bös geguckt hat und dadurch seelischen Dauerschaden verursachte. Der Grund für den Lärm: Die Bären hören einen dann schon von weitem und machen sich aus dem Staub. Wenn sie aber ahnungslos im hohen Gras liegen und man ohne Warnung über sie stolpert, werden sie sauer. Erfahrene Hiker nähen sich deshalb spezielle »Bärenglöckchen« aus dem Survival Shop ans Hemd und beglücken die Landschaft mit der Geräuschkulisse einer Schweizer Kuhherde. Wir machten auf unsere Art Lärm: Ich stritt mit Wolpers.
    Im Film sieht meine Begegnung mit den Bären ziemlich gefährlich aus. In Wirklichkeit war sie noch viel gefährlicher. Denn was man auf dem Bildschirm nicht sieht: Neben der Kamera stand Ranger Lederstrumpf mit der geladenen Flinte in der Fland, jederzeit bereit für den Fall, dass ein Bär doch mal angreift. In diesem Fall würde der Ranger schießen — und zwar auf mich. Dann wäre die Natur wieder im Einklang: Ich wäre tot und der Bär würde, erschreckt durch den Knall, davonlaufen.
    Die Nacht im Zelt war wie der Besuch beim Zahnarzt: schwere Ängste im Vorfeld, aber dann eigentlich gar nicht so schlimm. Natürlich hatten sich zusätzlich zu den Ameisen auch noch Stechmücken eingeschlichen, natürlich war es kalt und feucht und natürlich konnte ich nicht schlafen, aber auf diese Weise hatte ich wenigstens keine Albträume. Die kamen erst, als ich am Morgen aus dem Zelt kroch. Da lag nämlich Stephan mit der Kamera schon auf der Lauer und verfolgte mich gnadenlos bis zum ökologischen Freiluftklo, perfekt hygienisch, aber ohne Tür. Auch durch Steinwürfe ließ er sich nicht vertreiben — eine Szene, die mir nur zu gut aus Indien oder dem afrikanischen Busch bekannt ist: Da gibt es auch keine anständigen Klos, dafür aber ein Rudel Kinder, die einen Kreis bilden und zuschauen, was der weiße Millionär jetzt macht. Tagelange Verstopfungen sind die Folge.
    Soweit meine erste — und hoffentlich letzte — Nacht in einem Zelt. Aber die Proben des Schicksals waren
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