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Feuersteine

Feuersteine

Titel: Feuersteine
Autoren: Chris P. Rolls
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berufsmäßige Fassade schauen zu können, dabei kannten sie sich nicht wirklich, waren sich nur einmal begegnet. Aischa war ja wirklich mit ihrem Leben soweit zufrieden.
    Wie könnte sie es auch nicht sein? Erfolg, ein gutes Gehalt, weitere Aufstiegschancen; viele würden ihr ihren Status neiden. Da war nur diese leise, nagende Sehnsucht in ihr, die sie als dumm abtat, verdrängte, die jedoch hartnäckig blieb und von einem anderen, ruhigen Leben träumte. Einem Leben ohne den täglichen Kampf, ohne jedes Wort, jede Geste, jede Handlung überdenken zu müssen. Schwäche durfte sie nie zeigen und nachlassen auch nicht.
    Sie war gut, sie wusste es. Warum sollte sie das alles aufgeben wollen? Das war nicht vernünftig. Die Sehnsucht blieb.
    „Das klingt nicht schlecht“, antwortete Lily und machte eine Geste, die ihren Stand einschloss. „Ich verkaufe Steinschmuck, lebe in einem kleinen Häuschen auf dem Lande mit Schafen und ein paar Hühnern.“ Ihre rotbraunen Augen leuchteten. „Mein Leben gefällt mir auch.“
    „Das klingt sehr idyllisch.“ Aischa meinte es so und empfand jene Sehnsucht wie einen flüchtigen Anfall. Es passte zu Lily. Genau so hatte sich Aischa ausgemalt, dass sie leben würde. Vermutlich war ihre Sehnsucht darin begründet. Ja, das war es vermutlich.
    „Ein ruhiger Ort zum arbeiten und leben“, fuhr Lily fort. „Wenn du mal Ruhe brauchst, bist du herzlich eingeladen, mich zu besuchen.“ Aischa zog überrascht die Augenbrauen hoch.
    „Aber du … wir kennen uns doch gar nicht“, wandte sie ein.
    „Du hast mich gesucht“, erklärte Lily, „und gefunden. Und wenn du mehr wissen möchtest, besuche mich einfach.“ Aus ihrer Weste nahm sie einen zerknitterten Zettel. Man sah ihm an, dass er vielfach gefaltet und glattgestrichen worden sein musste.
    „Hier ist meine Adresse. Wenn du deinen Stress hinter dir lassen möchtest.“ Sie wandte sich neuen Kunden zu, die unbemerkt von Aischa an den Stand getreten waren. Verwirrt betrachtete diese den Zettel. Der Ortsname sagte ihr nichts, wohl ein Dorf irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern.
    Diese Begegnung lief völlig unerwartet ab. Lily schien sie wirklich erwartet zu haben und es war nicht schwer zu erraten, dass dieser Zettel schon länger in ihrer Westentasche auf sie gewartet hatte.
    Aischa musterte sie verstohlen. Die Sicherheit, mit der sie auftrat, verwirrte sie. Es sollte nicht selbstverständlich sein, dass sie sie nach zwei Jahren wiedererkannte. Aischa fragte sich unwillkürlich, was Lily noch wusste, wie viel sie erahnte. Immerhin schien da zwischen ihnen mehr zu bestehen als eine flüchtige Bekanntschaft. Ein Gedanke, der Aischa warm durchfloss.
    Während Lily ihren Kunden zwei wunderschöne Steinanhänger verkaufte, folgte Aischa ihren Bewegungen, nahm jedes Lächeln, jede Reaktion in ihrem Gesicht wahr. Eine selbstbewusste Frau, zielgerichtet, stolz auf ihre Werke, deren Freundlichkeit nicht gespielt, sondern ehrlich war, erkannte Aischa. Eine Frau, die dennoch verletzlich wirkte, etwas in sich verbarg.
    „Ein guter Tag“, erklärte Lily, nachdem sich die Kunden verabschiedet hatten. „Nur sehr kalt, meine Zehen sind schon gefroren.“
    „Soll ich dir einen Glühwein holen?“, bot Aischa sofort an. Sie wusste, dass sie Gründe suchte, Entschuldigungen, noch länger hier zu verweilen. Lily lächelte und schüttelte den Kopf.
    „Ich trinke leider keinen Alkohol.“
    „Bestimmt gibt es auch alkoholfreien“, bot Aischa an und sah sich suchend um.
    „Ein Kakao wäre gut“, erklärte Lily und fügte hinzu: „Und etwas zu essen, ich sterbe bald vor Hunger und kann hier schlecht weg.“ Aischa schmunzelte.
    „Dem lässt sich abhelfen. Ich besorge uns was. Dahinten gab es einen Crêpesstand oder möchtest du lieber was Herzhaftes.“
    „Ein Crêpe wäre prima, das ist wirklich lieb von dir.“
    Aischa machte sich augenblicklich auf den Weg, holte ihnen Crêpes und balancierte diese mit zwei Bechern schokoladig duftendem Weihnachtskakao zurück. Lily winkte sie in den Stand, bot ihr eine Holzkiste mit einer Decke darüber als Sitzgelegenheit an, und schweigend verzehrten sie ihre Mahlzeit.
    Es kamen weitere Kunden an den Stand, kauften Schmuck und lobten Lilys Kunstfertigkeit. In der Zeit dazwischen, begannen die beiden Frauen sich zu unterhalten. Aischa erfuhr, dass Lily mit vier Katzen in einem sehr alten Fachwerkhaus wohnte, neben dem Steinschmuck noch malte und aus Sand Bilder zusammenfügte. Sie versorgte sich
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