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Feuerscherben

Feuerscherben

Titel: Feuerscherben
Autoren: Jasmine Cresswell
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unter einem falschen Namen zu mieten, säße er vermutlich schon im Gefängnis.
    Was ist mit Andrew los?, überlegte er und fühlte sich von allen im Stich gelassen. Weshalb in aller Welt hatte sein Vater zugelassen, dass Claire der Polizei solche gemeinen Lügen erzählte? Claire war nicht seine Tochter, und trotzdem überschüttete er sie mit seiner Liebe. War es ihm gleichgültig, dass Claire ein uneheliches Kind war, ein Eindringling, eine Hure wie ihre Mutter? Eine unausgegorene Künstlerin, die Campbell Industries in Konkurs treiben würde, falls sie die Gelegenheit dazu bekäme?
    Und dann dieser Ben … Wer hätte das von Ben gedacht. Er, Roger, hatte sich halb totgearbeitet, damit der Kerl gut dastand. Und was passierte? Der undankbare Trottel verliebte sich in Claire!
    Roger trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. Er wusste, was er zu tun hatte, und weidete sich eine Weile an dem Gedanken. Dann beugte er sich zur Seite und öffnete sein Handschuhfach. Die neun Millimeter Smith & Weston glänzte verlockend. Wenn alles andere scheitert, kann ein Mann sich immer noch auf seine Waffe verlassen, dachte er. Er überzeugte sich kurz, dass der Revolver ordentlich geladen war und steckte ihn in seine Brusttasche. Entschlossen stieg er aus und ging mit raschen Schritten über den Parkplatz in Richtung Krankenhaus.
    In der Eingangshalle roch es nach Kaffee. Überall herrschte eifrige morgendliche Geschäftigkeit. Roger kaufte einen Blumenstrauß, ging zum Auskunftsschalter und erkundigte sich nach Claires Zimmernummer. Das Krankenhaus machte es Mördern und anderen Besuchern leicht. Eine Schwester gab freundlich Auskunft und erklärte Roger den Weg.
    »Dritter Stock, Westflügel, Zimmer 327. Nehmen Sie die Fahrstühle mit dem dunkelroten Streifen an der Tür. Die Blumen sind hübsch«, fügte sie hinzu. »Sehr hübsch.«
    Roger stimmte ihr zu und bedankte sich höflich für die Hilfe.
    Die Schwester lächelte reizend, während er in den Fahrstuhl stieg. Sie war jung und hübsch. Unter anderen Umständen hätte er ihr den Tag vielleicht ein wenig versüßt und eine Unterhaltung mit ihr begonnen. Heute hatte er keinen Blick für sie. Nach so vielen vergeblichen Versuchen, Claire umzubringen, war ihm nicht nach Scherzen zumute. Es war erstaunlich, dass solch ein zweitklassiges Wesen wie Claire seine brillanten Pläne so oft hatte verekeln können.
    Aber heute nicht, dachte er und lief den Korridor zur Nummer 327 hinab. Heute nicht.
    Die Tür zu ihrem Zimmer stand offen. Roger spähte hinein und merkte, dass Claire nicht allein war. Ben saß bei ihr und sah ziemlich zerknittert aus. Wahrscheinlich hatte er die ganze Nacht im Sessel neben ihrem Bett verbracht.
    Einen Moment war Roger verzweifelt und wie gelähmt. Dann erkannte er, wie er das Problem von Bens Anwesenheit lösen konnte. Seine Panik verflog und machte einem wunderbaren inneren Frieden Platz. Bald würde alles vorbei sein.
    Er zog den Revolver aus der Tasche und verbarg ihn sorgfältig hinter dem Blumenstrauß. So betrat er das Zimmer.
    Ben entdeckte ihn den Bruchteil einer Sekunde zu früh. Er stürzte sich auf das Bett und zerrte Claire mit der Hälfte der Laken zu Boden. »Tun Sie es nicht, Roger!«, schrie er. »Du liebe Güte, tun Sie es nicht!«
    Roger schleuderte den Strauß beiseite. Er hob die Waffe und richtete sie auf den zerknüllten Haufen hinter dem Bett. Doch seine Finger zitterten. Sobald er den Abzug betätigte und der Schuss sich löste, wusste er, dass er sein Ziel verfehlt hatte.
    Hatte er es absichtlich verfehlt?
    »Roger, nicht!« Das war Claires Stimme. »Bitte, tue es nicht!« Er hörte ihr ängstliches Flehen und erkannte im selben Moment, dass sich eilige Schritte von der Schwesternstation näherten.
    Er hob die Waffe erneut und strich mit dem Finger über den Abzug. Seit Claire zurückgekehrt war, seit er sie in Florida wiedergesehen hatte, war ihm tief im Herzen klar gewesen, dass dieser Augenblick kommen musste.
    Die Schwester stand an der Tür. Aus dem Augenwinkel bemerkte er ihren weißen Kittel. Nervös fuhr er herum, und sie schrie auf. Wie von fern hörte er das Heulen der Alarmanlage. Die Frau musste auf einen Notfallknopf gedrückt haben. Seltsam, dass alle in heller Aufregung waren, während er plötzlich absolut ruhig wurde.
    Langsam hob Roger den Arm und drehte den Revolver so, dass die Mündung auf den eigenen Kopf zielte. Er öffnete den Mund und bediente den Abzug.

EPILOG
    Weißes Hans, Washington. Ein Jahr
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