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Feuerscherben

Feuerscherben

Titel: Feuerscherben
Autoren: Jasmine Cresswell
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Claire sich auf den Bauch und schob die Knie unter den Körper. Mit der Stirn auf dem Boden und den Hüften in der Luft versuchte sie, genügend Sauerstoff durch die Nase zu bekommen. Sofort rebellierte ihr Magen, und sie hielt erschrocken inne.
    Nein, du wirst dich nicht übergeben, befahl Claire sich. Du wirst aufstehen.
    Eine Weile sah es so aus, als weigerten sich sowohl der Magen als auch die Beine, ihren Anweisungen zu folgen. Endlich hatte sich ihre Übelkeit so weit gelegt, dass sie die Zehen einziehen und sich schaukelnd auf den Sitz ihres Arbeitsstuhls stemmen konnte. Mit dem Stuhl als Stütze dauerte es keine weiteren dreißig Sekunden, und sie hatte das Kinn auf die Kante der Werkbank gelegt und den Körper halb aufgerichtet. Sie schluchzte vor Erleichterung, als sie die Spezialschere für die geschmolzene Glasmasse an dem gewohnten Platz neben dem Gravierrädchen entdeckte.
    Nachdem die Rettung in Reichweite lag, schob Claire sich in höchster Eile auf den Tisch und ergriff die Schere. Leider konnte sie das Werkzeug nicht anwinkeln, um die Fesseln an den Handgelenken durchzuschneiden. Deshalb schob sie die beiden Klingen auseinander und drückte die dickere Seite behutsam gegen das Pflaster vor ihrem Mund. Sie fand die Spalte zwischen den Lippen, legte die Klinge hinein und glitt vorsichtig von rechts nach links daran entlang, bis ein Schlitz entstanden war. Das Pflaster blieb an ihrer Haut haften, aber zumindest bekam sie jetzt besser Luft. Sie genoss den kleinen Triumph und atmete ein paar Mal tief durch.
    Nachdem die Gefahr, sich übergeben zu müssen und daran zu ersticken, vorüber war, machte Claire sich an die dicke Schicht Klebeband, die um ihre Beine und Fersen geschlungen war. Es kam ihr so vor, als wenn das Rauschen des Brennofens lauter geworden war. Die Temperatur im Atelier musste fast fünfzig Grad erreicht haben. Ihr Körper war schweißbedeckt, und die Schere glitt ihr ständig aus den zusammengebundenen Händen. Doch sie stocherte, stieß, schnitt und kerbte und drang immer tiefer. Zum Glück waren die Klingen stabil und hielten diese Behandlung aus.
    Als sie endlich die letzte Lage zerteilt hatte, war Claire beinahe blind vor Schweiß und kurz vor einem Hitzschlag. Sie rannte zur Haustür und weinte und lachte vor Erleichterung. Sie hatte sich selber gerettet und Roger mit ihrem Mut, ihrer Findigkeit und ihrer hartnäckigen Entschlossenheit besiegt.
    Die Tür rührte sich nicht.
    Bleib ganz ruhig, ermahnte Claire sich. Du darfst auf keinen Fall in Panik geraten. Sie lief zu der anderen Tür, die in ihre Garage führte, und drückte die Klinge hinunter.
    Die Tür war ebenfalls verschlossen.
    Sie rannte zur Haustür zurück und zog und zerrte und war kurz davor, hysterisch zu werden. Die beiden Türen waren Ihr einziger Ausgang. Ihr Atelier lag zwar im Erdgeschoss. Aber die Fenster waren mit kräftigen Eisengittern versehen, um Einbrecher abzuschrecken. Wenn sie die Tür nicht aufbekam, saß sie in der Falle.
    Tränen rannen ihre Wangen hinab, und sie ließ ihre Wut an der Füllung aus. Das Material war glühend heiß, und Claire erkannte, dass sich die Stahlplatte um das Schloss in der Hitze ausgedehnt hatte. Die Tür war verzogen und zu groß für ihren Rahmen.
    Na, wunderbar. Jetzt wusste sie, worin die Schwierigkeit bestand, und hatte keine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. Um die Tür zu öffnen, war ein gewaltiger Druck von außen nötig. Sie brauchte jemanden mit einer Brechstange oder einem Vorschlaghammer, der die Tür buchstäblich aus den Angeln hieb.
    Claire kämpfte mit der Versuchung, sich an die Wand zu lehnen und in eine tröstliche Bewusstlosigkeit zu sinken. Was nützte es, wenn sie weiterkämpfte? Roger hatte gewonnen. Sie würde sterben.
    Tut mir Leid, Andrew, entschuldigte sie sich stumm bei ihrem offiziellen Vater. Es tut mir entsetzlich leid, dass ich mich so bei dir geirrt habe.
    Sie schloss die Augen und dachte an Ben. Jetzt, wo es zu spät war, empfand sie eine schmerzliche Sehnsucht nach all den Freuden, die sie nicht geteilt hatten, all den Entdeckungen, die sie niemals gemeinsam unternehmen würden. Sie wünschte, sie könnte Ben noch ein einziges Mal sehen. Nicht, um ihm zu sagen, dass sie ihn liebte, sondern um ihn wissen zu lassen, wie sehr sie ihn mochte und wie gern sie mit ihm zusammen war. Mit Ben ins Bett zu gehen, war wunderbar. Aber auch sonst war es schön. Claire fragte sich, ob er Vivaldi mochte oder die Rolling Stones. Oder beides. Ob
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