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Feuernacht

Feuernacht

Titel: Feuernacht
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Finanzvormund?«, fragte Dóra.
    »Nein, aber einen Betreuer. Der hat mich allerdings noch nie besucht oder angerufen.« Jósteinn schien das völlig gleichgültig zu sein, er behandelte es wie eine Tatsache, die man erwähnen sollte. »Ich will das Geld dafür benutzen, einen alten Fall aufzurollen. Ich kann sonst nichts damit anfangen. Zum Glück ist meine Verurteilung zu lange her, als dass der Junge, mit dem ich damals zu tun hatte, mich verklagen und Schmerzensgeld fordern könnte. Oder seine Familie. Soweit ich weiß, ist er immer noch in Behandlung.« Jósteinn grinste, so als fände er das witzig.
    Jemand klopfte ans Fenster, und Dóra zuckte unübersehbar zusammen. Jósteinn wirkte höchst zufrieden. »Jakob ist nur neugierig, wer mich besuchen kommt. Ich habe, wie gesagt, noch nie Besuch gehabt.« Er grinste. »Was natürlich verständlich ist.«
    Dóra konnte ihren Blick nicht vom Fenster und dem lächelnden Gesicht mit den dicken Brillengläsern hinter der Scheibe lösen. Der Mann legte seine erdverkrusteten Hände auf die Fensterscheibe und zog sie nach unten, so dass sich braune Streifen auf dem Fenster bildeten. Dann winkte er Dóra fröhlich zu. Sie winkte zurück.
    »Warum ist er hier?«
    Die Frage war ihr einfach so rausgerutscht, aber Jósteinn ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. »Er hat fünf Menschen auf dem Gewissen. Brandstiftung. Ziemlich heftig das Ganze.«
    »Ach ja.« Dóra erinnerte sich dunkel an das Unglück, da in Island selten so viele Menschen bei einem Hausbrand umkamen, aber der Fall war im Bankencrash untergegangen. »Wann war das noch mal?«
    »Vor ungefähr anderthalb Jahren.« Jósteinn winkte ab, so als spiele der Zeitpunkt keine Rolle. »Er ist erst zwanzig und wird wohl einen Großteil seines Lebens hier verbringen. Menschen wie er haben oft ein schwaches Herz, vielleicht stirbt er frühzeitig.«
    Wieder schien das Gespräch in heikle Regionen abzudriften, und Dóra sagte schnell: »Ich sollte dich wohl darauf hinweisen, dass es in deinem Fall nicht viel Anlass zu einer Wiederaufnahme gibt. Du bist auf frischer Tat ertappt worden, wenn man das so sagen kann, und eine neue Erklärung für die Geschehnisse bringt nichts, es sei denn, du hast sehr gute Beweise. Das Urteil erscheint mir unanfechtbar, und ich kann auch keine Ungereimtheiten im Prozessverlauf feststellen.«
    Zum zweiten Mal lachte Jósteinn, diesmal durchdringender. Ein unangenehmer Mundgeruch wehte zu Dóra herüber, und sie verzog instinktiv das Gesicht. Der Geruch erinnerte an den Komposthaufen ihrer Nachbarn, dessen Verrottungszustand sie je nach Windrichtung gut verfolgen konnte. Als Jósteinn aufgehört hatte zu lachen, war sein Gesicht wieder ausdruckslos. »Nicht mein Fall, Jakobs Fall, der Brand.« Er strich sich mit der Hand durch das verklebte Haar und wischte die Hand dann an der Armlehne des Sofas ab. »Er hat das nicht getan. Ich weiß ein paar Dinge über die Hintergründe der Tat, die du bestimmt lieber nicht hören willst. Jakob hat keinen Brand gelegt, und ich möchte, dass du das beweist.« Plötzlich beugte er sich abrupt vor und griff nach Dóras Hand. Er versuchte, für einen kurzen Moment ihren Blick zu erhaschen, und schaute dann auf ihre ineinander verschränkten Hände. Dóra spürte das klebrige Gel an seinen Handflächen, das sich wie zäher Schweiß anfühlte. »Vielleicht scheut ein gebranntes Kind nicht immer das Feuer.«

2 . KAPITEL
    MITTWOCH ,
6 .  JANUAR 2010
    Ihr Name war Grímheiður Þorbjarnardóttir. Sie war misstrauisch, hatte es energisch abgelehnt, ihren Mantel abzulegen, und saß dick eingepackt in einem sauberen, aber verschlissenen Wollmantel in Dóras überheiztem Büro. Den selbstgestrickten Schal, die dazu passende Mütze und die gefütterten Lederhandschuhe hatte sie immerhin sofort in ihren Schoß gelegt. Grímheiðurs rote, geschwollene Finger nestelten an den Fransen des farblich unpassenden Schals herum, während ihre Augen nach einer Stelle suchten, wo sie die Sachen ablegen konnte.
    »Bist du sicher, dass ich deinen Mantel nicht aufhängen soll?« Es war einer dieser Wintertage, an denen der nasskalte Nordwind mit der Sonne kämpfte, aber keiner von beiden die Oberhand gewann. Dóra konnte die Fenster nicht öffnen, denn der starke Wind fegte gegen die Hauswand, und der kleinste Fensterspalt hätte ihr kleines Büro sofort in einen Kühlschrank verwandelt. Geschlossene Fenster waren allerdings auch nicht viel besser, denn dann verwandelte sich das
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