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Feuernacht

Feuernacht

Titel: Feuernacht
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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war unser Kind, unabhängig von der Anzahl der Chromosomen.«
    Dóra bewunderte die Frau. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie sich anders entschieden hätte, aber das ließ sich ja auch nicht vergleichen, denn sie hatte schließlich schon zwei Kinder. Vielleicht hatte sich die Entscheidung negativ auf Grímheiðurs Ehe ausgewirkt, denn sie war alleine unter der Telefonnummer registriert, die Dóra angerufen hatte. »Bist du noch mit Jakobs Vater verheiratet?«
    »Er ist gestorben, als Jakob zehn war. Wieder mal wegen falscher Ratschläge, die Behörden machen einem ja ständig Vorschriften. Mein Mann war Installateur und wurde wegen eines kleinen Auftrags von seiner Firma nach Hveragerði geschickt. Das war Anfang Mai, und alle Firmenwagen hatten schon Sommerreifen. Aber die Vorschriften haben keinen Einfluss auf das Wetter, und plötzlich gab es Glatteis. Er hat sich mit dem Auto überschlagen und war sofort tot.« Die Frau wandte den Kopf ab und starrte aus dem Fenster. »Er hatte Bedenken wegen des Wetters und hat die Polizei angerufen, um zu fragen, ob er Spikes benutzen dürfte, aber sie haben es ihm verboten.« Sie schwieg einen Moment und fuhr dann fort: »Als Jakob zwanzig wurde, hat man sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt, um ihn in einer Behinderteneinrichtung unterzubringen. Sein Sozialarbeiter hielt es für das Beste, dass Jakob bei mir auszieht. Dieser Schlaumeier war der Meinung, ich würde ihn zu sehr bemuttern, was seine Entwicklung beeinträchtigen würde. Ich frage mich immer noch, wie das überhaupt gelaufen ist, ich weiß nämlich, dass damals jede Menge Leute auf einen Platz gewartet haben. Aus irgendwelchen Gründen wurden die abgelehnt und Jakob angenommen. Ich glaube inzwischen, dass diese ganze sogenannte Unterstützung das Gegenteil bewirkt. Man bekommt nie das, was man will, und will nie das, was man bekommt.«
    »Du warst also dagegen, dass Jakob ins Heim kommt?« Eigentlich war die Frage überflüssig, aber Dóra wollte jegliche Missverständnisse vermeiden.
    »Ja, allerdings, und Jakob auch, aber das hat die Behörden nur noch mehr angestachelt, und am Ende habe ich klein beigegeben. Wenn ich gewusst hätte, was die Zukunft bringt, hätte ich mich natürlich vehement zur Wehr gesetzt. Ich wollte meinen Sohn einfach bei mir haben, weil ich glaube, dass ich mich besser um ihn kümmern kann als irgendwelche Fremden. Ich habe dann auch weniger Unterhalt für ihn bekommen. Nachdem Jakob ausgezogen war, bekam das Heim einen Großteil seines monatlichen Unterhalts, und der Rest hat noch nicht mal gereicht, um ihn vernünftig anzuziehen.«
    »Wie lange hatte Jakob schon in dem Heim gewohnt, als es abgebrannt ist?« Dóra bemühte sich, nicht zu sagen:
als er das Heim in Brand steckte.
    »Ungefähr ein halbes Jahr, länger nicht.«
    »Und hat er sich dort wohl gefühlt, oder war der Zeitraum dafür zu kurz?«
    »Er hat sich überhaupt nicht wohl gefühlt, es ging ihm sehr schlecht. Vielleicht nicht so schlecht wie nach dem Brand, als er ins Sogn gebracht wurde, aber auch nicht gut. Jakob braucht Stabilität.«
    »Dann wäre es vielleicht nicht sinnvoll, dass ich den Auftrag annehme, oder? Das würde Jakobs Leben definitiv durcheinanderbringen.«
    Die Frau schaute Dóra eindringlich an. Ihr Gesicht war vom Leben gezeichnet, tiefe Falten zogen sich von den Augenwinkeln zu den Schläfen und fächerten sich auf wie die Sonnenstrahlen, die Dóras Tochter auf ihren Bildern an den Himmel malte. Breitere und noch tiefere Falten liefen quer über die Stirn, doch trotz ihres faltigen Gesichts hatte sie Augen wie ein Teenager: Das Weiße war ganz klar, und die Pupillen hatten scharfe Konturen. »Ich habe heute einen Anruf aus dem Sogn bekommen. Sie haben mir geraten, dich davon abzuhalten, den Fall zu übernehmen, Jakob zuliebe. Ich war mir nicht ganz sicher, aber nach diesem Anruf habe ich mich entschieden.«
    »Du bist also dagegen?« Dóra war sowohl erleichtert als auch enttäuscht. Manchmal war es gut, wenn andere Menschen Entscheidungen für einen trafen, aber Dóra war irritiert, dass jemand versucht hatte, die Frau zu beeinflussen – auch wenn es in gutem Glauben geschehen war.
    »Nein, keineswegs. Ich möchte, dass du den Auftrag annimmst und bei deinen Nachforschungen auf niemanden Rücksicht nimmst, weder auf mich noch auf Jakob. Ich höre nicht mehr auf die Ratschläge von Leuten, die immer alles besser wissen. Von jetzt an bestimme ich.«
    Dóra lächelt dumpf. »Ich finde trotzdem, du
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