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Feuernacht

Feuernacht

Titel: Feuernacht
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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eigentlich im Besprechungsraum treffen sollen, aber da ist es so ungemütlich, dass ich lieber hierhin wollte.« Er zwinkerte mit seinen grauen Augen, starrte auf den Couchtisch zwischen ihnen und schürzte die dünnen Lippen. »Ich habe so selten Gäste«, wiederholte er und lächelte scheinheilig. »Eigentlich nie.«
    »Sollen wir nicht direkt zum Thema kommen?« Dóra war normalerweise viel höflicher, wenn sie als Anwältin Fremde kennenlernte, aber Jósteinn war ihr einfach unsympathisch. Sie wusste, dass sie aufpassen musste, nicht zu unfreundlich zu sein. »Ich habe mich so gut wie möglich mit deinem Fall vertraut gemacht, aber ich weiß ja nicht, worauf du hinauswillst. Es wäre am besten, das erst mal klarzustellen. Du bist seit ungefähr acht Jahren hier, stimmt das?«
    »Ja, nein, ich habe nicht so genau mitgezählt. Zahlen liegen mir nicht. Sie sind wie Fallen, aus denen ich nur schwer wieder herauskomme.«
    Dóra wollte gar nicht wissen, was der Mann damit meinte. Sie brauchte keine weiteren Beweise dafür, dass er immer noch krank war – ob er noch gefährlich war, war eine andere Frage, aber Dóra war sich ziemlich sicher. »Glaub mir, es sind ungefähr acht Jahre.« Sie beobachtete, wie Jósteinn beiläufig nickte. »Möchtest du wieder ein freier Mann sein?«
    »Ich fühle mich hier inzwischen genauso frei wie anderswo.« Jósteinn wartete darauf, dass Dóra protestierte, aber als sie schwieg, redete er weiter: »Freiheit hat viele Seiten, dabei geht es nicht nur um dicke Wände und Gitter vor den Fenstern. Die Freiheit, nach der ich mich sehne, gibt es wohl nicht, deshalb bin ich nirgendwo richtig frei. Und hier ist es nicht schlimmer als anderswo.«
    Dóra hatte keine Ahnung, wie sie das Gespräch wieder in vernünftige Bahnen lenken sollte. »Hast du hier eine Beschäftigung? Gibt es Freizeitangebote, Basteln oder so?« Sie konnte sich den Mann wirklich nicht mit Schere und Kleber vorstellen, es sei denn, er klebte seinem Opfer den Mund zu, damit es nicht schreien konnte, während er es mit der Schere malträtierte.
    Jósteinn lachte wie ein schlechter Schauspieler beim Casting für eine Komödie. Das Lachen brach genauso plötzlich ab, wie es gekommen war, und der Mann straffte sich ein wenig. »Hier kann man schon einiges machen, einer bestickt sogar Kissen, und wie du siehst, ist er schon ziemlich lange hier. Ich repariere defekte Computer, die wir von Ministerien und öffentlichen Behörden geschenkt bekommen. Das kann ich ganz gut.« Er zeigte aus dem Fenster. »Jakob arbeitet im Gewächshaus und züchtet Kräuter und Salat.«
    Dóra drehte den Kopf zur Seite und sah die beiden Männer aus dem kleinen Gewächshaus kommen. Ihre Eimer schienen jetzt viel schwerer zu sein als vorher. Nun war eindeutig zu erkennen, dass der Fülligere das Down-Syndrom hatte. »Wie praktisch.« Am liebsten hätte sie Jósteinn gefragt, was der Mann verbrochen hatte. Soweit sie wusste, waren Menschen mit Down-Syndrom im Allgemeinen friedlich und fröhlich.
    »Er ist mein Freund, ein guter Freund.« Zum ersten Mal, seit Jósteinn den Mund aufgemacht hatte, wirkte er ehrlich, was aber nicht lange anhielt. Er wandte den Blick von seinem Freund ab und fragte: »Ist es möglich, einen alten Fall wiederaufzunehmen? Eine Strafe in einen Freispruch zu verwandeln, wenn man unschuldig ist?«
    Dóra war auf diese Frage vorbereitet, hatte sogar darauf gewartet. »Ja, wenn es genügend Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Rechtssystem versagt hat.«
    »Ich bin jetzt ein reicher Mann, wusstest du das?«
    Dóra schüttelte den Kopf, unsicher, ob der Mann noch ganz bei Verstand war. »Nein, ich habe mich nicht mit deinen Finanzen beschäftigt. Hast du mit Computern gut verdient?« Schon möglich, dass nicht so viel nötig war, damit sich der Mann für reich hielt.
    »Ich habe meine Mutter beerbt. Alles, was ich bin, und alles, was ich besitze, stammt von ihr.« Ein einschmeichelnder Ausdruck trat auf sein Gesicht, und Dóra musste an den Hinweis auf seine schwere Kindheit und den Erbanteil seiner psychischen Erkrankung denken. Wahrscheinlich war er bei einer überforderten Mutter aufgewachsen, einer weiblichen Ausgabe seiner selbst. »Sie ist zufällig unter ein Auto gekommen und hat Schmerzensgeld gekriegt, weil sie danach gelähmt war. Kurz darauf ist sie dann gestorben, und alles, was ihr gehört hat, gehört jetzt mir. Ihre persönlichen Sachen lasse ich verbrennen, aber das Geld behalte ich.«
    »Hast du einen
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