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Feuernacht

Feuernacht

Titel: Feuernacht
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Bewohner sich im Schweiße ihres Angesichts und in Eintracht mit Gott und den Menschen abrackerten. Möglicherweise fanden sie das Wohnhaus ungewöhnlich groß, würden aber keine weiteren Gedanken daran verschwenden und einfach weiterfahren, ohne sich noch einmal umzudrehen. Es war sogar sehr wahrscheinlich, dass Einheimische dasselbe denken würden, da man in der Öffentlichkeit nicht viel über den Hof sprach. Wenn er mal in den Medien erwähnt wurde, dann meist im Zusammenhang mit tragischen Schicksalen. Die Leser überflogen die reißerischen Texte über das merkwürdige und unbegreifliche Verhalten der Menschen, die dort lebten, und blätterten weiter zu etwas Erfreulicherem. Wenn sie die Zeitung zugeschlagen hatten, blieb von den Beschreibungen des Orts und seiner Bewohner nicht viel hängen; es war angenehmer, diese Leute schnell wieder zu vergessen. Sogar im öffentlichen System wurden die Belange der Anstalt hinten angestellt; natürlich war man von der Wichtigkeit der dortigen Arbeit überzeugt, aber es herrschte eine stillschweigende Übereinkunft, dass sich die Beamten möglichst wenig damit auseinandersetzen sollten. Tief im Innern wusste auch Dóra, dass sie das Anliegen, das sie hierherführte, abgelehnt hätte, wenn die Auftragslage in der Kanzlei besser gewesen wäre. Nur die Neugier auf einen mysteriösen Fall hätte sie womöglich angespornt – schließlich bat nicht jeden Tag ein Insasse einer Anstalt für psychisch kranke Straftäter um ihre Unterstützung.
    Die Geschichte der Anstalt war kurz: Bis zum Jahr 1992 wurden Gefangene mit psychischen Problemen in ausländischen Einrichtungen oder im Gefängnis Litla-Hraun untergebracht, beides schlechte Alternativen. Im Ausland hatten die Gefangenen mit Sprachbarrieren und der Distanz zu Freunden und Familie zu kämpfen, und das Gefängnis Litla-Hraun war keine medizinische Einrichtung. Dóra konnte sich gut vorstellen, dass die eigenartige Umgebung und die raue Atmosphäre innerhalb der Gefängnismauern der Behandlung von psychisch kranken Straftätern nicht gerade zugutekamen. Die sieben Plätze im Sogn waren jedenfalls immer belegt.
    Die Kurve war scharf, und der Wagen kam auf dem losen Kies ins Schleudern. Dóra packte das Lenkrad fester und konzentrierte sich auf die Fahrt über die kurze Zugangsstraße. Sie wollte nicht schon bei ihrem ersten Besuch im Graben landen und sich herausziehen lassen müssen. Das Ganze war sowieso schon seltsam genug. Die Frau, die ihr einen Termin mit dem Insassen gegeben hatte, war zwar sehr freundlich gewesen, aber man hatte ihr anhören können, dass solche Anfragen alles andere als üblich waren. Dóra hatte eine gewisse Nervosität an ihr wahrgenommen, was angesichts des Lebenslaufs des Mannes, den sie treffen wollte, nicht weiter verwunderlich war. Er war kein normaler Insasse, der mit sporadischen psychischen Problemen zu kämpfen hatte oder aufgrund von Drogen- oder Alkoholkonsum auf die schiefe Bahn geraten war. Jósteinn Karlssons Weg hatte schon in jungen Jahren trotz zahlreicher Eingriffe der Behörden ins Verderben geführt.
    Dóra hatte sich mit seiner Vergangenheit vertraut gemacht, was keine unterhaltsame Lektüre war. Allerdings hatte sie nur Zugang zu zwei Fällen, da die Straftaten, die er als Minderjähriger begangen hatte, nicht einsehbar waren. Jósteinn war wegen Freiheitsberaubung, Körperverletzung und sexuellem Missbrauch eines Kindes angeklagt worden. Ihm wurde vorgeworfen, einen sechsjährigen Jungen von der Straße in seine Wohnung gelockt zu haben, allerdings mit unklarer Absicht, denn ein Nachbar rief frühzeitig die Polizei. Dieser wachsame Mitbürger war schon lange misstrauisch gewesen und behauptete, Jósteinn sei für das Verschwinden seiner beiden Katzen verantwortlich, die schwer misshandelt direkt unter Jósteinns Balkon gefunden wurden. Obwohl Jósteinn gewissermaßen auf frischer Tat mit einem fremden Kind in seiner Wohnung ertappt wurde und ein Zeuge ihn stark belastete, kam er verhältnismäßig glimpflich davon. Das Kind machte nämlich keine Aussage, weder vor Gericht noch sonst wo. Ein Psychologe versuchte, mit dem kleinen Jungen zu reden, bekam aber nichts aus ihm heraus; er presste nur die Lippen zusammen, sobald das Gespräch auf den Vorfall kam. Der Psychologe ging davon aus, dass Jósteinn dem Jungen eine Heidenangst eingejagt und ihm gedroht hatte. Daher ließ sich nicht eindeutig beweisen, dass sich Jósteinn in seiner Wohnung an dem Kind vergangen hatte. Die
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