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Feuerflut

Feuerflut

Titel: Feuerflut
Autoren: Vonda N. McIntyre
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immer stockender, immer leiser, immer unverständlicher. Laenea streichelte sein Haar, seinen Nacken, immer wieder. Das war das einzige, was sie tun konnte. Zu sagen gab es nichts mehr. Gar nichts mehr. „Selbst wenn ich die Operation überleben sollte, würde ich im Transit sterben …“
    Laenea fühlte, daß Tränen aus ihren Augen quollen, und dann rollten sie über ihre Wangen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zum letzten Mal geweint hatte. Radus Körper wurde von einem konvulsivischen Schluchzen geschüttelt, seine Tränen tropften auf ihre Schulter, drangen durch ihr Hemd. „Ich liebe dich“, flüsterte Radu. „Ich liebe dich, Laenea.“
    „Ich liebe dich auch.“ Sie konnte nicht aussprechen, was sie dachte: Das ist aber nicht genug. Das hilft uns nicht.
    Sie führte ihn zu einem breiten, niedrigen Sofa, das vor der Glaswand stand. Sie zog ihn neben sich auf die weichen Kissen und drückte ihn an sich. Er sagte etwas, das sie nicht verstand.
    „Wie?“
    Radu bog den Kopf zurück und sah sie an: „Wie kannst du mich lieben? Es gab nur eine Möglichkeit, daß wir zusammenbleiben konnten. Aber ich habe versagt …“ Seine Stimme erstarb.
    Laenea löste die Hände von seinen Schultern und ergriff seine Hände. „Dabei gibt es kein Versagen, Radu. Dieses Wort hat hier keine Bedeutung. Du kannst ertragen, was sie mit dir tun, oder du kannst es nicht. Aber es gibt kein Versagen, keine unehrenhafte Schwäche.“
    Er schüttelte den Kopf und wich ihrem Blick aus. Er hatte noch nie bei etwas vertagt, das für ihn wichtig war, erkannte Laenea, bei etwas, das er wirklich wollte. Er war noch so jung – zu jung, um schon gelernt zu haben, sich keine Selbstvorwürfe zu machen, wenn er an Umständen scheiterte, die außerhalb seiner Kontrolle lagen. Laenea zog ihn wieder an sich und küßte seine Augenbrauen, seine Wangenknochen.
    „Wir dürfen nicht …“ Er wollte sich befreien, aber sie hielt ihn fest.
    „Ich riskiere es, wenn du es auch tust.“ Sie schob ihre Hand unter sein Hemd und massierte die verspannten Nackenmuskeln. Ihr Daumen lag auf seine Halsschlagader, und sie fühlte seinen Puls durch ihren Körper vibrieren. Er sagte ihren Namen, so leise, daß es kaum vernehmlich war.
    Im Wissen darum, was sie erwartete, was sie riskierten, liebten sie sich ein drittes, letztes Mal, mit der Intensität der Verzweiflung, bis zur völligen Erschöpfung.
     
    Radu war fast eingeschlafen, als Laenea ihn leicht auf die Wange küßte und verließ. Sie zwang sich zu einer Ruhe, die sie nicht empfand. In ihrem rot und golden getönten Zimmer ließ sie sich auf das Bett fallen und konzentrierte sich darauf, ihr rasendes Herz langsamer laufen zu lassen, ihren raschen Atem auf die Normalfrequenz herunterzudrücken. Sie war so rasch gegangen, weil sie Radu nicht noch einmal mit diesen Symptomen beunruhigen wollte, und helfen konnte er ihr ohnehin nicht. Um ihren Organismus wieder unter Kontrolle zu bekommen, brauchte sie Ruhe und Konzentration. Und die Reste, die ihr davon verblieben waren, schienen aus ihrem Körper zu strömen, bevor sie sie festhalten konnte. Sie entströmten ihrem Körper durch Kanäle des Schmerzes, eng und flach in ihrem Kopf, tief und breit im Rücken, oberhalb der Nieren. In einem Anfall von Panik preßte sie die Hände vor die Augen, bis rote Feuerbälle aufzuckten. Sie stimulierte den Adrenalinausstoß, und die Erregung drängte sie über die Schmerzschwelle hinaus.
    Sofort zwang sie sich zu einer künstlichen, zerbrechlichen Ruhe.
    Ihr Herz wurde langsamer, lief wieder rascher, wurde langsamer, lief rascher (nicht ganz so rasch wie vorher), wurde langsamer, langsamer, langsamer …
    Sie hatte Angst vor dem Einschlafen, war aber zu erschöpft, um wach bleiben zu können. Sie ließ die Arme sinken und fühlte, wie sie dieser Welt entschwebte.
     
    Gegen Morgen taumelte sie benommen aus dem Bett. Ihr Körper schmerzte wie nach einem Kampf gegen einen überlegenen Gegner. Sie ging ins Bad und ließ kaltes Wasser über ihr Gesicht laufen. Es half nichts. Ihr Urin war gelblich verfärbt, enthielt aber kein Blut. Beruhigend.
    Radu war fort. Er hatte dem Mädchen gesagt, daß er nicht schlafen könne, aber keine Mitteilung für Laenea hinterlassen. Er hatte überhaupt nichts zurückgelassen, als ob er mit den Spuren seines Hierseins auch den Schmerz ihrer endgültigen Trennung auslöschen könnte. Laenea wußte, daß das unmöglich war. Sie wollte mit ihm sprechen, ihn berühren – nur noch
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