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Feuerflügel: Roman (German Edition)

Feuerflügel: Roman (German Edition)

Titel: Feuerflügel: Roman (German Edition)
Autoren: Kenneth Oppel
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hin.
    Er hasste es, sich auf dem Boden aufzuhalten. Fledermäuse waren zum Fliegen gemacht, nicht dazu herumzutrippeln. Mühselig bewegte er sich zu dem Gras, indem er sich mit den Klauen an den Daumen und den Ellbogen vorwärts zog. Mit den Beinen schob er sich voran, aber sie waren zu schwach, um eine große Hilfe zu sein. Alles Mögliche konnte im Gras lauern. Ratten, Schlangen, ein verrücktes Stinktier.
    Die ersten Halme, die er untersuchte, waren zu feucht, um leicht Feuer zu fangen. Weiter drinnen im Wald, im Schatten einer großen Eiche fand er etwas trockeneres Gras und blickte hoch, um den längsten Halm herauszufinden. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, in sicherer Entfernung über sich selbst zu kreisen und sich zu beobachten. Er war verrückt! Was machte er nur hier unten? Sein Herz begann zu rasen und seine Zähne fingen an zu klappern, obwohl ihm nicht kalt war. Er zwang sich dazu, aufmerksam auf das zu achten, was er gerade tat.
    Er begann, am unteren Ende des Grashalms zu kauen. Den sauren Geschmack spuckte er aus. Er biss den Halm durch und der fiel zu Boden. Umständlich nahm er ihn in die hinteren Klauen, der Länge nach unter sich. Dann flatterte er heftig und schaffte es, sich in die Luft zu erheben.
    Im Schatten verborgen flog er einen vollen Kreis um die Lichtung, dann näherte er sich im Tiefflug dem Feuer, um nicht gesehen zu werden. Er achtete darauf, von der den Menschen abgewandten Seite heranzukommen, und als er noch ungefähr zwanzig Flügelschläge entfernt war, machte er eine weitere ungeschickte Landung auf dem Kinn.
    Er zog sich vorwärts, den Grashalm hielt er mit den hinteren Krallen fest. Er blickte zu den Menschen hoch, ihre Körper und Köpfe türmten sich über den Flammen auf. Sie saßen noch und sie hatten ihn nicht bemerkt. Er fragte sich, ob er schnell genug fliehen könnte, falls sie versuchten, ihn zu fangen.
    Greif zögerte, schaute zu den Kiefern hoch und hoffte, dass Luna dies alles sah. Er wollte, dass sie der Kolonie alles über diese erstaunliche Tat erzählen konnte, die er vollbracht hätte. Diese erstaunliche, gefährliche Angelegenheit. Er grinste. Meinen Vater würde das schon beeindrucken, dachte er.
    Langsam zog er sich näher an das Feuer heran, bis dessen Hitze ihm wütend ins Gesicht sprang.
    Er beobachtete, wie die Flammen unten zwischen den glühenden Stöcken und Steinen ihren heißen, nervösen Tanz aufführten, und er hatte das Gefühl, dass sie ihn vorwärts lockten, näher und näher. Tief im Feuer knallte etwas und Greif zuckte zusammen, beinahe hätte er die Flucht ergriffen. Dies wäre Lunas Sache gewesen. Er hatte versucht, den Anschein von Furchtlosigkeit zu erwecken, aber er war nicht furchtlos. Er bestand nur noch aus Angst, sein Herz hämmerte, der Mund war trocken, eine schreckliche Schwäche kroch ihm durch die Glieder. Die Flügel fühlten sich wie Pudding an. Aber er dachte daran, dass Luna ihn beobachtete, dachte an seinen Vater, und er wusste, dass er jetzt nicht mehr aufgeben konnte.
    Als Greif sich dicht an einen der großen Steine duckte, brachte ihm das ein wenig Linderung vor der Hitze. Er nahm das Ende des Grashalms in die Zähne. Er wusste, er musste sich beeilen – je länger er brauchte, desto größer war die Gefahr, gesehen zu werden.
    Mit den Daumenkrallen zog er sich auf den Stein. Glühende Hitze ergoss sich über ihn, versengte sein Fell, trieb ihm Tränen in die Augen. Er blinzelte und versuchte, den Halm ins Feuer zu schwenken, aber er wurde von einem großen Holzblock am Rand des Feuers zur Seite gebogen. Der Grashalm war unhandlich. Es gelang ihm, ihn mit den Klauen ein wenig zurückzuziehen, sodass ihm ein kürzeres Stück aus dem Maul ragte.
    Mit einem Vorwärtsruck der Schultern schob er den Halm tief in die Glut, sah, wie die Spitze Feuer fing, und zog ihn wieder zurück. Zuerst dachte er, er hätte das Feuer verloren, aber dann sah er an der Spitze ein Glimmen und eine Andeutung von Rauch, der sich von dort emporkräuselte. Geschafft!
    Vorsichtig schob er den Halm in seine hinteren Klauen. Mit wedelnden Flügeln erhob er sich in die Luft, stieg vom Boden hoch, weg von den Menschen und ihrem Feuer, zurück zur Kiefer, wo, wie er wusste, Luna auf ihn wartete. Einen kurzen Blick warf er zurück. Falls die Menschen ihn überhaupt wahrgenommen hatten, unternahmen sie doch nichts. Sie saßen weiter dort wie große klumpige Berge, starrten ins Feuer und grunzten sich mit ihren langsamen, tiefen Worten
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