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Feuerflügel: Roman (German Edition)

Feuerflügel: Roman (German Edition)

Titel: Feuerflügel: Roman (German Edition)
Autoren: Kenneth Oppel
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zu löschen. Sie brauchten nur ein paar Sekunden, aber seine Freundin bewegte sich immer noch nicht. Ihr Fell war schrecklich verbrannt, wie Greif erkennen konnte, Flecken geröteter Haut waren durch das Fell zu sehen. Ihre Flügel waren versengt und stellenweise geschmolzen.
    Greif konnte den Blick nicht von ihr reißen und er merkte, dass er jammerte, einen tiefen, tonlosen Ruf, den er nicht zurückhalten konnte.
    „Sie lebt“, hörte er eine der Mütter sagen. „Wir wollen sie zurück in den Baumhort bringen.“

– 2 –
Das Felsenlager
    Schatten bewegte sich unruhig und runzelte im Erwachen die Stirn. Er öffnete ein Auge, dann das andere und blickte um sich auf die tausende von männlichen Silberflügeln, die von den zerfurchten Wänden und der Decke der Höhle herabhingen. Sie waren dicht in ihre Flügel gehüllt und schliefen alle noch fest. Er horchte. Er konnte nicht entscheiden, ob es ein Geräusch war oder eine Schwingung im Gestein, die ihn aus dem Schlaf gerüttelt hatte. Vielleicht war es auch nur Chinook, der neben ihm schnarchte. Oder Cassiel, sein Vater, der im Traum murmelte.
    Schatten betrachtete den langen senkrechten Spalt, der den Eingang der Höhle bildete, und entschied wegen des Lichts, dass es noch rund eine Stunde bis zum Sonnenuntergang war. Um Mitternacht, wusste er, würde Orion, der oberste Älteste der Männchen, fünf Boten auswählen, die zum Baumhort reisen sollten. Schatten wollte einer von ihnen sein.
    Er wollte seinen Sohn sehen.
    Greif. Der Name war so ziemlich das Einzige, was Schatten von ihm wusste, und dass er im Frühjahr gesund zur Welt gekommen war. Wie konnte jemand mit nur diesem Wissen zufrieden sein? Aber so hatte man es Millionen von Jahren gehalten. In jedem Frühjahr nisteten die Weibchen im Baumhort und brachten ihre Jungen zur Welt und die Männchen verbrachten den Sommer im Felsenlager einhunderttausend Flügelschläge weiter südwestlich. Keines von den Männchen hatte anscheinend den Wunsch, seine Partnerin und die Neugeborenen zu besuchen. Sie waren vollkommen zufrieden damit, bis zum Herbst von ihnen getrennt zu sein und nichts zu wissen außer den Neuigkeiten, die ihnen die Boten in der Zeit nach der Geburt in Abständen überbrachten.
    Aber das lag nun schon Monate zurück! Wie konnten sie das nur aushalten? Es war zu absurd. Er sehnte sich verzweifelt danach, Marina wiederzusehen – und zum ersten Mal seinen Sohn zu treffen.
    Schatten seufzte. Gut, jetzt war er wach. Für einen Augenblick glaubte er, mit seinen Krallen eine ganz feine Schwingung zu spüren, als ob sich etwas unendlich Gewaltiges in der Erde rührte und seine Kraft ausprobierte. Dann war es wieder vorbei. Wahrscheinlich war es nur der Wind, der vom Ozean herwehte, oder die endlose Bewegung des Meeres selbst – oder seine eigene Nervosität wegen heute Nacht.
    Er wollte nach draußen. Er ließ sich von seinem Ruheplatz fallen, breitete die Flügel aus, schoss durch die Öffnung und befand sich sofort über der See. Die Sonne stand noch hoch genug über dem Horizont, um das Wasser funkeln zu lassen. Schatten flog eine scharfe Kurve und schwebte über die felsige Küste, die von zahllosen kleinen Buchten und Meeresarmen zerrissen war. Die Flut kam hier heftig und plötzlich, und das Meer hatte hohe, steile Klippen zurechtgeschnitten. Das Felsenlager befand sich tief im Inneren der steilsten Klippe von allen, deren gezackte Spitze von moosbedeckten Felsen bekrönt wurde und von ein paar widerstandsfähigen, vom Wind gebeugten Fichten.
    In der Ferne konnte Schatten eine Schule Wale ihren merkwürdigen Gesang anstimmen hören, ein irgendwie trauriges und gleichzeitig ekstatisches Lied, das durch Wasser und Luft tönte und wie eine Bö ans Land geworfen wurde.
    Schatten flog niedrig über dem dichten Wald. Jetzt wollte er jagen. Vom höchsten Ast einer Kiefer starrte ihn ein Rabe misstrauisch an, als er vorbeiflog, sagte aber nichts. Schatten beobachtete vorsichtig den mächtigen Vogel. Ihm war bald klar geworden, dass die Erlaubnis, im Sonnenlicht zu fliegen, nicht bedeutete, dort auch erwünscht zu sein.
    Obwohl die Eulen einem Friedensvertrag mit den Fledermäusen zugestimmt hatten, fühlten sich Schatten und die anderen Silberflügel noch unbehaglich während des Tages. Die meisten mieden diese Zeit und zogen es vor, unter dem Mond und den Sternen zu jagen und zu fliegen, wie sie es jahrtausendelang getan hatten. Manchmal fragte sich Schatten, welchen Sinn es gehabt hatte, dafür zu
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