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Feuerflügel: Roman (German Edition)

Feuerflügel: Roman (German Edition)

Titel: Feuerflügel: Roman (German Edition)
Autoren: Kenneth Oppel
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rieselten über seinen Rand. Schatten grub seine hinteren Klauen fest in der Erde und streckte den Kopf über die Öffnung.
    Er spürte, wie der Luftstrom unheilvoll an seinem Fell zerrte. Der Tunnel neigte sich steil in die Schwärze. Vielleicht führte er hinab zu den Höhlen in der Küste, aber er hörte weder Wasser klatschen noch Wind rauschen. Weit, weit entfernt nahm er das schwache, aber verzweifelte Flügelflattern der Motte wahr, die gegen den Luftstrom kämpfte, bis es sich im Nichts auflöste. Wo immer dieses Loch hinführte, es war sehr tief. Er spitzte die Ohren. Ein Geräusch wie ein ganz schwaches Ausatmen stieg aus der Tiefe auf und ein Schauder des Entsetzens kroch Schatten über die Haut. Vielleicht war es nur ein Flüstern, das seine eigenen Ohren über das Schweigen gelegt hatten. Er horchte ganz konzentriert, und wieder hörte er den gleichen Seufzer wie den langsamen gleichmäßigen Atem eines Lebewesens, das sprechen wollte. Das nach oben kommen wollte.
    „Wer ist da?“, rief Schatten.
    Seine Stimme hallte das Loch hinab, verlor sich rasch. Wer ist da? Wer ist da ist da da da ...
    Dann herrschte Schweigen wie nach einem heftigen Atemholen, das Schweigen von etwas, was im Dunkeln auf einen horcht. Sofort bereute Schatten, gerufen zu haben. Kalter Schweiß kitzelte ihn im Genick und auf den Schultern. Er konnte sich nicht rühren. Er wartete darauf, dass das Atmen sich wiederholte. Er blinzelte, wurde schwindlig von der plötzlichen überwältigenden Gewissheit, dass dieser Tunnel direkt in den Mittelpunkt der Erde hinabstürzte, zu einem schrecklichen Ort, der ihm nicht vollkommen unbekannt war. Vor seinem inneren Auge blitzten, obwohl seine Ohren kein Geräusch entdeckten, fahle Bilder auf, die er schon einmal gesehen hatte: eine gefiederte Schlange, ein Jaguar, ein Paar starrender Augen ohne Pupillen. Und er wusste, wo sie herkamen: von Cama Zotz, dem Gott der Unterwelt.
    ja“, flüsterte eine Stimme, und Schatten zuckte entsetzt zurück, aber nicht schnell genug, denn im gleichen Augenblick brach die Erde um den Tunneleingang weg und Schattens Oberkörper kippte in das Loch. Die hinteren Klauen mühten sich, ihren Halt zu bewahren. Der Luftstrom zerrte heftig an ihm, als er mit den Daumen wühlte, um sich zurück und aus dem Loch zu stoßen. Eine seiner hinteren Klauen löste sich von der Erde und er war kurz davor, in dieses schreckliche Loch zu fallen. Doch plötzlich wurde er zurückgerissen und sein Vater war bei ihm, packte ihn mit seinen Flügeln und Zähnen und Krallen.
    Sie hasteten weg und erhoben sich in die Luft, keuchend und aufgewühlt. Auf einer nahen Zeder ließen sie sich nieder. Mit noch schmerzhaft pochendem Herzen erzählte Schatten seinem Vater, was passiert war.
    Cassiel blickte grimmig auf das Loch. „Wir sollten zum Felsenlager zurück und den Ältesten berichten. Wir brauchen Hilfe, um diesen Tunnel richtig zu verstopfen. Wir wollen nicht, dass irgendjemand hinabgesaugt wird.“
    „Oder dass etwas herauskommt“, sagte Schatten. Sein Vater schaute ihn an. „Du bist sicher, dass du jemanden gehört hast?“
    „Ich denke schon.“ Er seufzte. „Irgendetwas war da unten, und nicht nur ein einzelnes Ding, es fühlte sich an wie ... eine ganze Welt.“ Er wollte sich nicht ausmalen, welcher Art Geschöpfe sie bewohnten oder wozu sie in der Lage wären.
    Schatten starrte durch die Äste hoch auf einen inzwischen von Sternen übersäten Himmel. An ihnen konnte er ablesen, dass es fast Mitternacht war. Orion, der Älteste, würde jetzt bald seine Entscheidung fällen. Mehr als je zuvor wollte er nun zum Baumhort reisen. Er wollte Gewissheit, dass alles in Ordnung war. Dass das unheilvolle Beben, das er vorhin gespürt hatte, die Erde nicht in ihrer Nähe aufgespalten hatte.
    Während er mit seinem Vater zum Felsenlager zurückflog, hatte er schon einen Entschluss gefasst. Auch wenn Orion ihn nicht als Boten auswählte, würde er vor Sonnenaufgang zum Baumhort aufbrechen.

–3–
Erwachen
    Er erwachte unter dem gewaltigen Gewicht von Gestein, das ihn niederdrückte. Der Gestank von versengtem Fels und Staub verstopfte ihm die Nase. Erst träge, dann in wachsender Panik durchwühlte er sein Gedächtnis nach Erinnerungen.
    Er konnte sich nicht erinnern, was er war oder ob er einen Namen hatte. Er versuchte, eine Schulter anzuheben, mit einem Bein sich abzustoßen.
    Schieb.
    Erschöpft von der Anstrengung keuchte er, hustete Staub aus Mund und Nase.
    Was ist
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