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Feuereifer

Feuereifer

Titel: Feuereifer
Autoren: Sara Paretsky
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keinen blassen Schimmer habe.«
    Schließlich begaben wir uns alle zusammen in meine Wohnung - die Hunde, der alte Mann, Conrad. Mein Nachbar kramte in meiner Küche herum und servierte mir dann eine Schale Joghurt mit Apfelschnitzen und braunem Zucker. Es gelang ihm sogar, meinem betagten Espressokocher eine große Tasse abzuringen. Ich machte mich auf der Couch lang, die Hunde auf dem Boden daneben. Mr. Contreras ließ sich im Sessel nieder, und Conrad rückte sich den Klavierstuhl so zurecht, dass er mein Gesicht beobachten konnte, während ich redete. Er förderte einen Kassettenrecorder zutage und gab Datum und Ort ein.
    »Okay, Ms. W., das ist jetzt offiziell. Erzähl mir, was du in South Chicago zu suchen hattest, und zwar die ganze Geschichte.«
    »Das ist meine Heimat«, antwortete ich. »Ich gehöre da mehr hin als du.« »Vergiss es. Du lebst seit über fünfundzwanzig Jahren nicht mehr dort.« »Spielt keine Rolle. Du weißt so gut wie ich, dass du das Viertel, in dem du groß geworden bist, dein Leben lang nicht mehr loswirst. «

1
    Reminiszenzen
    Die Rückkehr nach South Chicago ist für mich immer eine Rückkehr zum Tod. Die Menschen, die ich am meisten geliebt habe, die mir in meiner Kindheit am wichtigsten waren, starben alle in diesem verwaisten Viertel am südöstlichen Rand der Stadt. Der Leib meiner Mutter, die Asche meines Vaters sind zwar nicht in South Chicago bestattet, aber während ihrer schlimmen Krankheit habe ich beide dort gepflegt. Mein Cousin Boom-Boom, der mir näher war als ein Bruder, wurde vor fünfzehn Jahren dort ermordet. In meinen Albträumen werde ich vom dichten, gelben Rauch der Stahlwerke bedrängt, doch die gewaltigen Schornsteine, die in meiner Kindheit hier aufragten, sind heute selbst nur noch Geister.
    Nach Boom-Booms Begräbnis hatte ich mir geschworen, mich nie wieder in die South Side zu begeben, doch solche Gelübde sind albern und bombastisch, weil man sie nicht einhalten kann. Dennoch versuche ich immer noch, daran festzuhalten. Als meine einstige Basketball-Trainerin bei mir anrief, um mich zu bitten -oder vielmehr zu beauftragen -, sie wegen ihrer Krebsoperation zu vertreten, sagte ich erst mal automatisch: »Nein.«
    »Victoria, du hast es durch den Basketball geschafft, aus der Gegend rauszukommen. Du bist den Mädchen, die jetzt in derselben Lage sind wie du damals, etwas schuldig. Sie sollen die Chance auch haben.«
    Ich erwiderte, nicht Basketball, sondern die Entschlossenheit meiner Mutter, die mir um jeden Preis ein Studium ermöglichen wollte, hätten mich aus South Chicago rausgebracht. Und meine Abschlussnoten, die verdammt gut waren. Mary Ann McFarlane versetzte darauf, das Sportstipendium für die University of Chicago habe wahrlich auch nicht geschadet.
    »Weshalb kümmert sich denn die Schule nicht um eine Ersatztrainerin?«, wandte ich bockig ein.
    »Glaubst du, ich bekomme Geld von der Schule?« Mary Ann klang aufgebracht. »Es handelt sich hier um die Bertha Palmer High, Victoria. Um South Chicago. Die haben kein Geld, und jetzt sind sie auch noch von der Schulbehörde schlecht eingestuft worden, das heißt, jeder Cent wird für die Vorbereitung auf Standardtests ausgegeben. Sie erhalten das Training für die Mädchen nur aufrecht, weil ich umsonst arbeite, und wir hängen ohnehin schon am Tropf. Ich muss ständig irgendwo schnorren, damit wir Trikots und Ausrüstung bekommen.« Mary Ann McFarlane hatte an der Bertha Palmer auch Latein unterrichtet und sich für Mathematik ausbilden lassen, als die Schule nur noch Spanisch und Englisch anbot.
    Und in den ganzen Jahren hatte sie dort Basketballmannschaften trainiert. Das alles wurde mir erst bewusst, als sie mich anrief.
    »Es sind nur zwei Stunden zwei Nachmittage die Woche«, fügte sie hinzu. »Plus eine Stunde Fahrzeit pro Strecke«, sagte ich. »Ich schaffe das nicht, ich habe eine Detektei, arbeite derzeit ohne Assistentin, muss mich um meinen Partner kümmern, der in Afghanistan zusammengeschossen wurde. Und meine Wohnung und zwei Hunde habe ich auch am Bein.«
    Coach McFarlane zeigte sich davon wenig beeindruckt; das waren für sie nur Ausflüchte. »Quotidie damnaturqui Semper timet«, sagte sie erbost. Ich musste mir den Satz mehrmals stumm wiederholen, bevor ich ihn übersetzen konnte: Wer sich immer fürchtet, ist Tag für Tag verdammt. »Ja, mag sein, aber ich habe seit zwanzig Jahren keinen Wettkampf-Basketball mehr gespielt. Die jungen Frauen, die samstags immer zu unseren
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