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Feuer und Glas - Der Pakt

Feuer und Glas - Der Pakt

Titel: Feuer und Glas - Der Pakt
Autoren: Brigitte Riebe
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neugierig an, als wolle sie in ihr Innerstes blicken.
    Was nahm sie sich heraus, sie derart unverhohlen anzustarren! Lag es daran, dass die Fremde sich überlegen fühlte, weil sie so anmutig und unnahbar wirkte?
    »Hast du auch einen Namen?«, unterbrach das Mädchen ihre Gedanken.
    »Ich bin Milla.«
    Sie konnte einfach nicht aufhören, ihr Gegenüber anzustarren, das ihr wie eine Prinzessin erschien – eine Prinzessin mit schlechten Manieren allerdings! Den grüngoldenen Brokat von gestern hatte sie gegen lichtblaue Seide vertauscht und so geschickt um den Körper gewickelt, dass ihre sanften Rundungen betont wurden. Bei jeder Bewegung raschelte das kostbare Material, doch sie trug es so selbstverständlich, als sei es schlichtes Leinen.
    Unwillkürlich lugte Milla an sich hinunter.
    Anfangs hatte sie sich geärgert, wenn ihre Kleidung beim Bedienen etwas abbekam. Inzwischen hatte sie sich so sehr an die unvermeidlichen Spritzer und Flecken gewöhnt, dass sie ihr kaum noch auffielen. Jetzt allerdings machte es ihr sehr wohl etwas aus. Wenn sie doch nur ihr Sonntagsgewand angehabt hatte, das sie gestern auf der Piazzetta getragen hatte! In dem verblichenen gelben Rock und dem ausgefransten Mieder kam sie sich gegenüber der eleganten Fremden vor wie eine Küchenmagd.
    »Ganesh? Alisar – seid ihr so weit?«, hörte sie eine Stimme rufen, die ihr nicht unvertraut war. »Wir wollen aufbrechen!«
    Eine Spur von Blau, das aus der geöffneten Tür floss.
    Der Gondoliere trat heraus. Auf seinen Schultern lag der Kater, eine getüpfelte Pfote lässig baumelnd, als sei es seine Lieblingshaltung. Die Augen des schwarzhaarigen Mannes weiteten sich leicht, als er Milla erkannte, und seine Miene wurde ernst.
    Das Blau wurde stärker.
    Sie spürte, wie alles Blut aus ihrem Kopf strömte, und ihr wurde heiß und zugleich eiskalt. Würde sie im nächsten Moment ohnmächtig zu seinen Füßen hinsinken? Milla ballte die Hände zu Fäusten und zwang sich zum Weiteratmen.
    Noch immer sah er sie unverwandt an.
    Das Blau um ihn vertiefte sich noch mehr, war wie das leuchtende Türkis der Lagune an warmen Sommertagen, das wie eine Welle auf sie zurollte.
    Es war keine Einbildung. Es war zum Greifen nah – und machte ihr Angst.
    Milla öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne einen Ton hervorzubringen, weil alle Worte plötzlich versiegt waren.
    Dann drehte sie sich um und rannte davon, so schnell sie konnte.
    Die abendliche Arbeit im ippocampo verrichtete sie wie abwesend, und das rächte sich. Milla brachte ein halbes Dutzend Mal Speisen an die verkehrten Tische und sorgte damit für reichlich Verwirrung. Erstaunlicherweise schien Savinia ihre gute Laune deswegen nicht zu verlieren – nicht einmal, als sie zwischendrin hinausging, offenbar die schludrig versteckte Wäsche entdeckte, die Milla ganz vergessen hatte, und danach mit einem Schmunzeln die Küche wieder betrat.
    »Vielleicht mute ich dir zu viel zu«, sagte sie zu ihrer Tochter, während sie die Ravioli abgoss und anschließend in Olivenöl schwenkte. »Du bist gerade erst sechzehn geworden und hast keine einfache Zeit hinter dir. Nimm es mir nicht übel, wenn ich manchmal ruppig bin. Wir tragen das schmutzige Zeug gemeinsam nach Hause, was meinst du? Zusammen ist das eine Kleinigkeit!«
    Milla gelang es nicht richtig, sich über dieses Angebot zu freuen, denn soeben hatte Salvatore die Taverne betreten. Er bestellte Weißwein und Sardinen, verschlang aber vor allem ihre Mutter mit Blicken, als sie kurz in den Gastraum kam, um ihn zu begrüßen. Dass man Savinia hinterher fröhlich in der Küche pfeifen hörte, machte alles nur noch schlimmer.
    »Lass dich nicht so hängen«, flüsterte Ysa ihr im Vorbeigehen zu. »Die anderen Gäste können schließlich nichts dafür!«
    »Aber er ist doch dein Bruder …«
    »Und dein Vater. Du solltest ihm mehr vertrauen, Milla! Das hat Leandro verdient.«
    Der Satz fuhr ihr tief ins Herz.
    Wusste die Tante etwas, das sie bislang für sich behalten hatte?
    Ysa ging seit je eigene Wege, das war nichts Neues für Milla. Doch auch sie hütete ihre Geheimnisse, und das betraf nicht allein ihren verborgenen Schatz. Und so hatte sie auf die Frage, wo sie nachmittags gewesen sei, lediglich mit Schulterzucken geantwortet.
    Dabei wurde Milla die Bilder und Geräusche aus dem kleinen Garten nicht mehr los. Ganeshs Ohren, die das Gegenlicht wie durchsichtig gemacht hatte. Das Spiel der raschelnden Seide, sobald sich Alisar bewegt hatte. Vor
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