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Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Titel: Feuer der Götter: Roman (German Edition)
Autoren: Stefanie Simon
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ich.«
    »Oh, Xocehe! Ich verstehe dich nicht! Erkläre dich mir!«
    »Ja, du sollst alles wissen.« Sie lehnte sich zurück, und ihr Blick glitt in die Ferne, durch die gefangenen Götter hindurch. »Am sechsten Tag der Endenden Finsternis kam die Sonne zurück, und seitdem feiern die Städter ihr ausgelassenes Fest. Diese junge Frau dort machte man zur Hohen Priesterin, weil sie in jenem Moment der Rückkehr geboren wurde. Aber was für die Menschen so bedeutungsvoll ist, war schon immer eine Lüge. Bald tausend Jahre ist es her, als die Sonne für fünf Tage erlosch. Ich wurde einige Tage zuvor erwählt. Ich kam hierher, stolz und erwartungsvoll wie jeder, den der Gott-Eine zu sich rief. Und wie alle vor mir wurde ich von Entsetzen gepackt, als ich die ewig sterbenden Götter sah und begriff, dass ich ihr Schicksal würde teilen müssen. Hier auf diesem Thron saß Toxina Ica. Er muss einmal der schöne Gott gewesen sein, als den man ihn darstellt. Aber an ihm war nichts Göttliches mehr. Er war … ich kann dir nicht sagen, was er war. Nur dass mir sein Anblick heute noch Alpträume beschert. Ich warf mich vor diesem verdorrten Wesen zu Boden und flehte es um Gnade an. Da bot er mir an, seinen Platz einzunehmen, denn er wusste, dass er am Ende seines Daseins angekommen war. Auf diesem Thron zu sitzen, erschien mir als Glückseligkeit. Solange ich nur nicht ewig brennen musste! Und er starb vor meinen Augen. Nein, er starb nicht; er verging, er zerfiel zu Staub.«
    »Das … das ist unmöglich.«
    Naave dachte dieselben Worte. Der Gott-Eine war ewig, er konnte nicht sterben.
    Aber sie musste diese Ungeheuerlichkeit glauben – denn statt seiner saß ja eine andere auf dem Bergthron.
    »Fünf Tage dauerte sein Tod, und in dieser Zeit war es Nacht. Als die Sonne wieder aufging, kehrte er nicht zurück, wie die Menschen glauben.« Bei diesen Worten sah sich Naave aus höhnischen Augen gemustert. »Sondern ich nahm auf diesem Thron Platz, mit dem sicheren Wissen, dass ich nach unzähligen Jahren ebenso enden würde wie Toxina Ica. Noch wehre ich mich gegen den Wahnsinn, der mich zerfrisst. Aber vielleicht irre ich mich ja, und er hat mich längst übermannt.«
    Ihr eigenartiges Lächeln ließ Naave vermuten, dass sie sich umsonst wehrte.
    »Du hast die Sonne aufgehen lassen«, sagte sie zaghaft. »Bist du nicht fähig, die Götter zu retten?«
    »Ich könnte sie in den erlösenden Tod entlassen. Doch eines ist wahr: dass ihr Feuer die Welt wärmt und ihr Kraft verleiht. Was würde aus der Welt, wenn die Sonne verblasst und es keine Wärme mehr gibt? Der Wald, die Felder würden vergehen und ein karges, dunkles, kaltes Land entstehen – so wie das Land jenseits der Berge. Die Stadt würde untergehen; nur wenige Menschen blieben am Leben. Ich mag das mächtigste Wesen diesseits des Himmelsbogens sein, doch ich wagte nicht, eine Wahl zu treffen. Daher kam ich auf den Gedanken, den Erwählten Botschaften zu schicken. Iq-Iq, der wahre Alte, das Schicksal, sollte entscheiden, ob einer sich warnen ließ und etwas in Gang setzte, das dem Elend hier ein Ende bereiten würde – oder ob derjenige die Worte in den Wind schlug und seinen Platz im Reigen des Leidens einnahm.«
    Xocehe erhob sich, raffte ihr schweres Kleid, machte einen Schritt über das Becken hinweg und trat vor Royia. Naave schien es, als schaue die Göttin aus fernen Höhen auf ihn herab.
    »In diesen annähernd tausend Jahren kamen einige Erwählte hierherauf. Jedes Mal war ich erwartungsvoll – was würde er oder sie tun? Doch jeder war nur starr vor Entsetzen und ließ sich willenlos von den Wächtern an seinen Platz führen. Und ich wollte weinen vor Enttäuschung. Gleichzeitig freute ich mich, dass sein Körper seinen Beitrag leisten würde, die Welt weiter gedeihen zu lassen. Es kam vor, dass einer nicht hierblieb, o ja. Zuletzt war es Muhuatl, der im letzten Moment entkam. Ich wartete darauf, dass er irgendwann zurückkäme, mich zu töten. Aber nichts passierte.«
    »Er musste sich doch vor dir verstecken!«, warf Naave vorsichtig ein.
    »Vor mir? Ich habe ihn nicht gejagt. Aber mein Schatten schon.«
    »Dein Schatten?« Unwillkürlich sah sich Naave um.
    »Ja, der Schattenhauch. Es gibt einen Schattenhauch und viele, und sie alle sind meiner. Er trägt die Gebete der Menschen zu mir. Sie machen mich müde, und ihn umso stärker. Er ist der Tod, aber er hat keinen Willen, was die Entscheidung für oder gegen die Welt betrifft. Muhuatls wahre
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