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Fernsehkoeche kuesst man nicht

Fernsehkoeche kuesst man nicht

Titel: Fernsehkoeche kuesst man nicht
Autoren: Nikola Hotel
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    Silke ließ den Schneebesen fallen, mit dem sie gerade die Eier geschlagen hatte. »Willst du damit sagen, dass Raphael Richter ein Patient von dir ist?«
    »Hnh«, gab ich zu.
    »Was hast du mit seinen Zähnen gemacht?« Ihr Ton war drohend, deshalb wagte ich es auch nicht, zu flunkern.
    »Es war ein Versehen. Ich wollte ja auf den Oberarzt warten, aber alle haben mich so gedrängelt und dann«, ich vollführte eine ausladende Handbewegung, » pling , war der Zahn abgebrochen. Aber ich hab ihn noch. Hier!« Ich kramte in meiner Hosentasche und hielt Silke den Zahn unter das Kinn.  
    »Oh mein Gott!« Sie nahm mir das Stück ab und betrachtete es ehrfürchtig.
    »Das ist Raphaels Schneidezahn?«
    »Ja«, hauchte ich.
    Sie war anscheinend so schockiert, dass sie diese Neuigkeit gleich dem Rest der Familie erzählen musste. Am Ärmel zerrte sie mich ins Esszimmer und baute sich vor den anderen auf.
    »Meine Schwägerin, eure Tochter«, sie zeigte mit dem Finger auf meine Eltern, »hat Raphael Richter verstümmelt!«  
    »Wen?«, mein Vater Hans-Joachim, liebevoll Hajott genannt, setzte sein Weinglas ab.  
    »Kind, du hast mir gar nicht erzählt, dass du so prominente Patienten hast!« Das war meine Mutter.
    Normalerweise vermied ich es auch, von meiner Arbeit zu erzählen. Nicht-Mediziner waren von Krankenhausgeschichten schnell gelangweilt. Vor allem, wenn man ihnen erklärte, dass es so, wie sie es in Emergency Room zu sehen bekamen, nicht besonders realistisch war.  
    »Naja«, gab ich zu bedenken. »Die schlafen ja ohnehin immer, wenn sie in meiner Obhut sind. Außerdem habe ich Schweigepflicht«, fiel es mir viel zu spät ein.
    »Was ist Schweigelicht?«, fragte Severin und versuchte, sich den Zahn zu schnappen, den Silke wie eine Trophäe hochhielt.
    »Das ist, Schatzi, wenn man ein Geheimnis kennt und es nicht weitererzählen darf. Aber Tante Josephine hat sich nicht daran gehalten.«
    »Kommst du jetzt ins Gefängnis?«, wollte Severin wissen.
    Claude lehnte sich im Stuhl zurück, grinste und schien auch ansonsten die Situation völlig zu genießen. Endlich stand einmal nicht er in der Schusslinie.
    »Tante Jo kommt nicht ins Gefängnis!«, sagte Frédéric und warf mir einen bösen Blick zu. »Es sei denn, dieser Mann verklagt sie. Dann ist sie demnächst pleite.«
    »Muss Tante Jo dann unter der Brücke schlafen?« Severin rieb sich freudig die Hände.
    »Ich weiß nicht, woher dieses Kind solche Ideen hat«, sagte meine Mutter. »Von mir jedenfalls nicht.«
    »Von mir etwa?«, fauchte Silke. »Ich bin nicht kriminell und verstümmle andere Menschen.«
    »Entschuldigung«, sagte ich mechanisch.
    »Irgendetwas riecht hier komisch«, stellte Claude fest.
    »Das Essen!« Silke ließ den Zahn auf den Tisch fallen und eilte in die Küche.
    Ich muss gestehen, dass ich vom Geruch verbrannten Specks ein wenig abgelenkt war, sonst hätte ich bemerkt, dass Severin den Zahn an sich nahm und damit das ganze Unglück erst ins Rollen brachte. So aber schnüffelten wir alle und stellten Vermutungen an, ob das, was wir da rochen, womöglich noch essbar war.
    »Ungenießbar!«, erklärte meine Mutter. »Da reicht eine kleine, verbrannte Stelle aus, und das schöne Essen ist hin.«
    Claude murmelte etwas.
    »Was hast du gesagt?«, fragte Frédéric in einem Ton, der uns allen klarmachte, dass er ihn genau verstanden hatte.
    »Ich sagte, ich wäre sowieso lieber zu Hause geblieben und hätte mir eine Pizza bestellt. Das Theater hier kann ja kein Mensch ertragen.« Er warf seine Serviette wie einen Fehdehandschuh auf den Tisch.
    »Claude! Nicht vor den Kindern!«, rief Mutter aus. »Außerdem dachte ich, du wärst krank. Hast du nicht gesagt, du hättest eine akute Essenz? Ich meine, einen akuten, essenziellen Vegetarismus?« Sie schien irritiert.
    »Ich habe gesagt, ich hätte eine vegetative Idi... Idiopathie. Öh«, machte Claude und kratzte sich am Kopf.
    »Du bist ein Idiot!«, stellte Frédéric fest.  
    »Eine vegetative Dystonie«, half ich aus.
    »Was ist das?«, riefen alle wie aus einem Mund.
    Ich überlegte, ob jetzt die Gelegenheit war, mich dafür zu rächen, dass Claude mich nicht verteidigt hatte. Ich könnte einfach die Wahrheit sagen. Dass nämlich eine idiopathische Dystonie ganz großer Käse war. Eine Verlegenheitsdiagnose, wenn der Arzt irgendetwas aufs Papier schreiben musste, aber keine Ahnung hatte, was. Ich könnte Claude als den Bruder entlarven, der schlicht keinen Bock auf
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