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Ferien mit Patricia

Ferien mit Patricia

Titel: Ferien mit Patricia
Autoren: Paul Gallico
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ihren. Sie setzte sich nicht zur Wehr. Sie nahm es gleichsam als eine Strafe hin. Sie mußte all ihren Mut zusammenreißen, aber sie ersparte sich nichts. Sie fühlte seinen heißen, keuchenden Atem und sah im fahlen Licht der halb verdunkelten Straßenlampe den feuchten Glanz seiner Augen.
    Er ließ sie los, um sie zu betrachten. Sein Gesicht war ganz blaß, und er schluckte schwer. Dann streckte er wieder seine Hände nach ihr aus und sagte heiser:
    »Pat... ich...«
    Doch nun rannte sie, rannte so schnell, wie die Füße sie trugen, die Straße hinunter, und während sie rannte, begann sie zu schluchzen. Alles war von tiefer Dunkelheit erfüllt, ihr Innerstes und ihre Umgebung, und es schien ihr, als wäre sie ein Teil der lastenden Finsternis, die niemals mehr von einem Licht durchdrungen werden konnte. Sie hörte, wie er nochmals ihren Namen rief, hörte das schwere Dröhnen seiner Schritte auf dem Pflaster, bevor sie endlich das Haus erreichte und damit vor ihm sicher war.
    Auch die Treppe rannte sie hinauf, rannte in ihr Zimmer, verriegelte die Tür und warf sich aufs Bett und weinte, weinte... nach Jerry. Es war das unglückliche und hoffnungslose Weinen einer Verlassenen, einer Frau, die kein Mann mehr schützte.
    Immer wieder flüsterte sie seinen Namen vor sich hin, als ob sie ihn damit herbeirufen könnte:
    »Jerry, Jerry, Jerry…«
    Warum war er nicht da, um sie zu beschirmen? Wenn er sie liebte, wäre er bei ihr, und nichts mehr könnte ihr geschehen. In ihren Tränen verbarg sich die geradezu hysterische Angst, die sie marterte, seit sie zurück und sich bewußt war, daß ihre Sicherheit dahin, ihre Zitadelle zerstört war. Keinen Menschen hatte sie mehr, an den sie sich hätte wenden können. Allan hatte es von ihrem Gesicht abgelesen, daß sie nun für alle Männer eine Beute geworden war.
    Ihr Schluchzen klang wie das angsterfüllte, hemmungslose Schreien eines Kindes in der Dunkelheit. Sie schlug mit den Fäusten auf die Matratze und rief:
    »Jerrieeee, Jerrieeee! Bitte, Jerry...« Sie rief nach ihm, daß er komme, bevor es zu spät sei, daß er sie aus der Dunkelheit rette, die ihren Geist, ihren Körper und ihre Seele zu verschlingen drohte.
    »Ach, Jerrieeee, komm...«

    Die Lichter im Hause auf der andern Seite der Severn Avenue übten auf Jerry eine Art Zwang aus, während er am Fenster seines Zimmers stand und auf die ruhige und verlassene Straße blickte. Seine Gedanken wanderten dorthin, wohin ihn seine Füße nicht tragen wollten, wenn auch nur wenige Meter die beiden Häuser voneinander trennten.
    Er stand schon eine Weile dort und grübelte vor sich hin. Es war bereits elf Uhr. Durch die grünen Blättervorhänge der Bäume hatte er gesehen, wie die Lichter im Erdgeschoß von Catharines Haus erloschen und im ersten Stock ein paar Lampen aufflammten. Bald würden auch sie ausgelöscht werden, und dann würde er, wie in seiner Knabenzeit, die dunkle Masse des gegenüberliegenden Hauses nur noch ahnen können.
    Es war ihm unmöglich, den Gedanken an dieses Haus aus seinem Kopf zu verbannen. Er kannte jeden Balken und jeden Stein, die weißgestrichenen Schindelwände, das dunkle, vorstehende Dach mit dem viereckigen, blumenumsäumten Balkon und das große, bis zum Boden reichende Fenster des Arbeitszimmers. Das Haus war für Jerry zu einem lebendigen Wesen geworden, da es doch Catharine und seine Hoffnungen beherbergte. Er hatte mit diesem Hause gelebt, war mit ihm groß geworden seit dem Tage, da die Quentins dort eingezogen waren.
    Dorthin war er spielen gegangen, zuerst als Kind und später als Jüngling. Dort hatte er zum erstenmal an Catharines Geburtstagsgesellschaft teilgenommen, kurz nachdem die Quentins sich dort niedergelassen hatten. Seit diesem Tage lag über dem Hause ein Glanz, den nichts hatte zerstören können.
    Jerry erinnerte sich an Catharines siebenten Geburtstag — er selbst war damals acht Jahre alt — und wie sie ausgesehen hatte in ihrem blauen Organdykleid, das an den Schultern gerafft war, so daß sie einem Engel mit Flügeln glich. Ihr glänzendes Haar hing ihr tief den Rücken hinab und war mit einer großen blauen Schleife zusammengebunden.
    Erinnerungen, einzelne Bilder und Gefühle stiegen mit überraschender Klarheit und Lebendigkeit vor ihm auf, und er empfand wieder etwas von der Erregung jenes Tages, als er sich zum erstenmal wie ein Erwachsener vorgekommen war. Liebliche Wesen in Rosa, Blau und Weiß mit duftendem, seidigem Haar und gestärkten
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