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Feinde der Krone

Feinde der Krone

Titel: Feinde der Krone
Autoren: Anne Perry
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dieser den Raum verlassen hatte, dann schloss er die Tür hinter ihm und wandte sich seinem Schwager zu.
    Jack Radley ging auf die Vierzig zu, wirkte aber jünger, da er nach wie vor gut aussah und eine natürliche Freundlichkeit ausstrahlte. Überrascht, Pitt zu sehen, legte er die Zeitung beiseite, in der er gelesen hatte, und sah ihn neugierig an.
    »Setz dich«, forderte er ihn auf. »Was führt dich hierher? Ich dachte, du wolltest deinen längst fälligen Urlaub nehmen. Edward ist doch bei euch!« Über seinen Augen lag ein Schatten,
und Pitt begriff, dass Jack klar war, wie übel man ihm mitgespielt hatte, als man ihn zum Sicherheitsdienst versetzt hatte. Er befürchtete wohl, Pitt wolle ihn um seine Hilfe bitten, um diese Entscheidung rückgängig zu machen. Doch dass er dazu keinerlei Möglichkeit hatte, wusste Pitt besser als er selbst.
    »Charlotte ist mit den Kindern gefahren«, gab Pitt zur Antwort. »Edward war so aufgedreht, dass er den Zug am liebsten selbst gefahren hätte. Ich muss noch eine Weile hier bleiben. Du weißt ja, dass in ein paar Tagen gewählt wird.« Bei diesen Worten blitzte flüchtig Belustigung auf seinem Gesicht auf. »Aus Gründen, die ich nicht näher erläutern darf, brauche ich einige Angaben über Sachfragen … und über den einen oder anderen Abgeordneten.«
    Jack hielt den Atem an.
    »Es sind keine persönlichen Gründe«, beruhigte ihn Pitt lächelnd, »sondern hat mit dem Sicherheitsdienst zu tun.«
    Jack errötete leicht. Es kam nicht oft vor, dass ihn jemand auf dem falschen Fuß erwischte, schon gar nicht Pitt, der die Methoden der politischen Debatte nicht beherrschte, bei der man mit der Opposition die Klingen kreuzte. Vielleicht hatte Jack vergessen, dass beim Verhör von Verdächtigen viele der gleichen Elemente eine Rolle spielten: das genaue Studium von Mienenspiel und Körpersprache des Gegenübers, die indirekte Anspielung, die Vorwegnahme dessen, was gesagt werden mochte, und das Lauern im Hinterhalt.
    »Um was für Sachfragen es geht?«, sagte Jack. »Da wäre die Selbstbestimmung Irlands, aber um die geht es schon seit Generationen, und es steht nicht besser um sie als früher, obwohl Gladstone nicht locker lässt. Einmal ist er schon darüber gestolpert, und ich bin überzeugt, dass sie ihn auch diesmal wieder Stimmen kosten wird. Aber er lässt sich von der Forderung nach Unabhängigkeit der Iren nicht abbringen, obwohl es weiß Gott viele probiert haben.« Er verzog das Gesicht ein wenig. »Weit seltener wird die Forderung nach Selbstbestimmung für Schottland oder Wales erhoben.«
    Pitt war verblüfft. »Selbstbestimmung für Wales?«, fragte er ungläubig. »Wer unterstützt denn das?«
    »Kaum jemand«, räumte Jack ein. »Das gilt auch für Schottland. Aber die Frage wird doch von Zeit zu Zeit angesprochen.«
    »Das hat aber doch sicher keinen Einfluss auf die Londoner Wahlkreise?«
    »Könnte schon sein, wenn man die Sache zur Sprache bringt.« Jack zuckte die Achseln. »Ganz allgemein gesagt, sind die Leute am meisten dagegen, die geographisch am weitesten vom Schuss sitzen. In London ist man gewöhnlich der Ansicht, dass Westminster alles beherrschen soll. Je mehr Macht man hat, desto mehr will man.«
    »Die Frage der Selbstbestimmung ist schon seit Jahrzehnten ein Streitpunkt, jedenfalls was Irland betrifft.« Pitt ließ das Thema einstweilen fallen. »Was haben wir da noch?«
    »Den Achtstundentag«, gab Jack finster zur Antwort. »Das ist zumindest gegenwärtig die wichtigste Frage, und ich kann mir keine andere denken, die ihr den Rang ablaufen könnte.« Mit leichtem Stirnrunzeln sah er Pitt an. »Was steckt hinter deiner Fragerei, Thomas? Etwa eine Verschwörung, die den Alten stürzen soll?« Damit meinte er Gladstone. Es hatte bereits Mordanschläge gegen ihn gegeben.
    »Nein«, gab Pitt rasch zurück. »Nichts Offensichtliches.« Gern hätte er ihm die ganze Wahrheit berichtet, das aber musste er sowohl um seiner selbst willen wie auch in Jacks Interesse unterlassen. Unter keinen Umständen durfte auch nur der geringste Verdacht aufkommen, Jack könne etwas ausgeplaudert haben. »Es geht um Korruption in Wahlkreisen und um unsaubere Machenschaften.«
    »Seit wann kümmert sich denn der Sicherheitsdienst um solche Sachen?«, fragte Jack zweifelnd und lehnte sich ein wenig zurück, wobei er mit dem Ellbogen einen Stapel aus Büchern und Papieren umstieß. »Die Leute haben doch die Aufgabe, sich um Anarchisten und Bombenleger zu kümmern,
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