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Fehlt noch ein Baum

Fehlt noch ein Baum

Titel: Fehlt noch ein Baum
Autoren: Irina Tabunowa
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muss duldsam sein und alles verzeihen. Man muss seinen Kindern als gutes Beispiel vorangehen. Was soll aus Vera werden, wenn ihre Mutter bei jeder Gelegenheit mit einem Luftgewehr rumballert? Was für einen Eindruck soll das auf die zarte Kinderseele machen?
    Ich will, dass mein Kind der Menschheit Nutzenbringt … Ich will, dass meine Tochter zur furchtlosen Kämpferin für die Menschenrechte heranwächst, wie das Akademiemitglied Andrej Sacharow! Dass sie wie er für die Abschaffung der Todesstrafe kämpft! Für das Primat der menschlichen Werte! Für die Rehabilitierung der Völker, die während der Stalin-Zeit deportiert wurden! Sie soll einen Hilfsfonds für die Kinder politischer Häftlinge gründen!
    Na, und nebenbei könnte sie auch noch ein paar neue thermonukleare Bomben erfinden.
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    30. August 2003
Shopping
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    Gestern waren meine Schwester, Vera und ich im Supermarkt. Als ich nach Hause kam, wurde mir klar, dass ich verlernt habe, sinnlose, aber angenehme Dinge zu kaufen. Hätte unser Shopping im Namen der Ausrottung der
Großen Weiblichen Depression
stattgefunden, dann würde ich mich jetzt erschießen.
    Liste der Einkäufe:
    1. Pampers
    2. Kindercreme
    3. eine CD mit russischen Volksmärchen
    4. Milch
    5. Brot
    Und das soll Shopping sein! Wo bleibt die Befriedigung, die sich einstellt, wenn man sein Geld sinnlos vergeudet?
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    30. August 2003
Shopping – 2
    Â 
    Ich hatte nicht mal die Chance, das Unnötige näher zu betrachten, denn neben den Parfümregalen drang aus dem Kinderwagen zuerst ein lautes Niesen und dann ein ohrenbetäubendes Gebrüll. Wie abstoßend meine Kleine brüllen kann! Wie sehr ich sie liebe!
    Â 
    30. August 2003
Shopping – 3
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    Aber das Beste am Einkaufsbummel sind die knisternden Tüten. Vera ist völlig euphorisiert. Liegt da und lässt sie rascheln. Was sind dagegen die Rasseln? Die muss man erst noch anheben. Aber die Tüten sind leicht, groß und knistern … Und ich bin froh – das Kind nörgelt nicht.
    Meine Mutter kam, sah Vera knistern und sagte gouvernantenhaft: »Pass bloß auf, dass sie sich die Tüte nicht über den Kopf zieht.« Ich zuckte mit den Schultern und verließ das Zimmer. Fünf Minuten später kam ich zurück und sehe: Da steht meine Mutter, eine Schnellwaage in der Hand. An der Waage hängt die raschelnde Tüte. In der Tüte – die lächelnde Vera.
    Â»Schau an«, sagte meine Mutter, »sie ist schon über fünf Kilo.«
    Ja, das Beste am Einkaufsbummel sind die knisternden Tüten.
    Â 
    30. August 2003
Shopping – 4
    Â 
    Was ich vergessen habe zu sagen: Im Supermarkt bekam ich in der Abteilung Kinderschuhe eine Art Kulturschock. Zwei Ledersandalen, jede so groß wie ein Damenportemonnaie, kosteten unermesslich viel Geld. Es wäre billiger, dem Kind Geldbörsen über die Füße zu ziehen!
    Allerdings habe ich noch die Galoschen, die Vera geschenkt bekommen hat. Sie sind neu, schwarz, aus Gummi und innen mattrosa.
    In diesem Zusammenhang hatte ich einige Phantasien. Zum Beispiel:
    Ich gehe durch den Waggon eines Vorortzugs. Ich trage eine alte Steppjacke, vom Kopf rutscht mir ein geblümtes Tuch. In der Hand halte ich ein Bajan mit hellblauen Perlmuttleisten. Ich bleibe am Ende des Waggons stehen, werfe eine ungehorsame Haarsträhne aus meinem strengen, durchgeistigten Gesicht. Ich ziehe den Blasebalg des Instruments auseinander, lasse Luft in meine Lungen strömen und fange an zu singen. Vor mir her läuft Vera mit ihren knallenden Galoschen an nackten Füßen und hält den Passagieren ein Schild unter die Nase »Helfen Sie um Christi willen«.
    Oder auch:
    Ich stehe in einem Metrotunnel. Mein Haar ist gelöst. Um meine Stirn spannt sich eine dünne Glasperlenkette. Um meinen Hals baumelt wie ein ausgelaugtes Euter ein Brusttäschchen. Zu meinen Füßen steht ein leerer Snickerskarton. In den Händen halte ich eine Blockflöte. Ich spiele darauf, und meine Tochter Vera läuft herum und wedelt mit ihren Pummelärmchen,an denen sie Glasperlenarmbänder trägt. Eine kleine traurige Elfe in glänzenden Gummigaloschen.
    Oder die Variante mit der Kirchenbettelei. Oder man könnte in einer Zigeunermenge hinter einem Planwagen herlaufen. Möglichkeiten gibt es viele.
    Â 
    31. August 2003
Fitness
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    Ich habe dem Kind die Fingernägel
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