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Fehlt noch ein Baum

Fehlt noch ein Baum

Titel: Fehlt noch ein Baum
Autoren: Irina Tabunowa
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sich! Und, und, und.
    Und die Männer gebären immer noch nicht. Die Armen …
    Â 
    Â»Ira, ich würde gern wissen, wie es ist, schwanger zu sein …«
    Â»Dann bind dir ein Kissen um den Bauch.«
    Â»Nein, das ist nicht dasselbe … Wie ist es, wenn man sich wie ein Haus fühlt?«
    Â»Noch fühle ich mich nicht schwanger und erst recht nicht wie ein Haus.«
    Â»Und was fühlst du?«
    Â»Verwirrung. Schon jetzt gehört mein Körper nicht mehr mir allein. Ich bin zum Inkubator geworden. Mein Schwerpunkt liegt nun im Bauch …«
    Â 
    Eine schleimige, pulsierende, scheinbar amorphe Kröte – so stellte man sich in der europäischen Volkstradition die Gebärmutter vor. Genauer gesagt, ihre tierhafte Verkörperung. Wahrscheinlich lag das an der Fähigkeit dieses Tiers, sich maßlos aufzublähen. Wie ein unbeweglicher, glitschiger Weinschlauch …
    In Belarus kündigte eine Kröte im Traum einer Fraudie Schwangerschaft an. Die Südslawen und Deutschen fertigten Kröten aus Metall und Wachs und brachten sie in die Kirche, um von der Unfruchtbarkeit geheilt zu werden. In Bayern glaubte man, dass die Gebärmutter in Form einer Kröte aus dem Mund der schlafenden Frau schlüpfe, um sich zu baden, und wenn sie zu einer schlafenden Kranken zurückkehrt, dann werde die Kranke gesund.
    Die Litauer abstrahierten gar nicht, sondern meinten einfach, die Gebärmutter im Bauch eines Weibes sei ein lebendiger Frosch. Die Weiblichkeit wurde also vom Frosch verkörpert und nicht vom scheuen Reh …
    Es gibt ein russisches Volksmärchen über die Froschkönigin, eine sehr logische Erzählung. Zarensohn Iwan schießt einen Pfeil ab, der bei einem Frosch landet. Den muss er dann küssen, woraufhin sich der Frosch in eine Königin verwandelt. Tageszeitabhängig mutiert die Königin wieder zu einem Frosch oder zurück zur Hausfrau.
    Also haben auch wir Russen unseren Beitrag zur weltweiten Verehrung der Frösche geleistet.
    Allein die Franzosen haben sich in dieser Hinsicht nicht von der besten Seite gezeigt. Dieses verdrehte Volk liebt Frösche ausschließlich oral. Pfui. Wir Slawen essen keine Frösche. Wir heiraten sie.
    Â»Ira, sollen wir heiraten?«
    Â»Machst du dich über mich lustig?«
    Â»Wie kommst du denn darauf? Es wäre nur einfach Zeit, immerhin kriegen wir ein Kind …«
    Â»Das sehen wir später.«
    Â 
    5. August 2003
Erwachsensein ist Langeweile pur
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    Vera und ich schütteln. Vera schüttelt eine Klapper (erst vor kurzem hat sie gelernt, ein Spielzeug in die Hand zu nehmen) und ich die Druckerpatrone. Die Druckerpatrone hätte schon längst ausgetauscht werden müssen, aber wenn man sie herausnimmt und ein bisschen wie eine Rumba-Rassel aus dem Kindergarten schüttelt, dann reicht sie noch für etwa achtzig Seiten. Im Unterschied zur Klapper macht die Druckerpatrone keine Geräusche und sieht nach langweiligem Büroalltag aus. Keine rosa Elefanten und gelben Kätzchen. Erwachsensein ist Langeweile pur.
    Â 
    6. August 2003
Meine kinderlosen Freunde
    Â 
    Meine kinderlosen Freunde hören sich meine halbstündigen dramatischen Monologe über die Last des Mutterseins an und stellen dann alle dieselbe Frage: »Und was machst du sonst so, wenn du nicht auf Vera aufpasst?«
    Â 
    7. August 2003
Blutende Wunden
    Â 
    Gestern wurde Vera ihr Säuglingsblut abgenommen. Die Laborantin zielte lange auf den Finger meiner Tochter und rammte dann mir ihre Waffe ins Handgelenk. Beim zweiten Versuch traf sie dann doch noch den Finger. Von den Verwundungen erholen wir uns immer noch.
    Â 
    10. August 2003
Der blanke Elternneid
    Â 
    Eltern sehen neidisch auf die Kinder anderer Eltern. Ständig ziehen sie Vergleiche und werden von Zweifeln geplagt, ob ihr Sprössling in seiner Entwicklung nicht vielleicht hinterherhinkt. Deswegen verdanken wir vieles in unserer Kindheit dem blanken Neid unserer Vorfahren. Den Bajan-Unterricht in der Musikschule. Die Gruppen für indischen Tanz. Die Kinderkrippe mit verstärktem Unterricht in fünf Sprachen, Suaheli inklusive.
    Und das alles nur deswegen, weil irgendein anderes Kind es bereits macht.
    Ich gestehe: Wenn ich am Telefon höre, wie Veras Altersgenosse, der zwei Monate alte Andrjuscha, es nicht nur mag, auf dem Bauch zu liegen, sondern auch ganz ruhig so einschläft, dann könnte ich grüne Galle
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