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Fehlt noch ein Baum

Fehlt noch ein Baum

Titel: Fehlt noch ein Baum
Autoren: Irina Tabunowa
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Betten Gläser mit Salzgurken fand, schrie sie, dass wir während der Schwangerschaft nur so viel Salz bräuchten, wie in einem Stück Brot von der Größe einer Streichholzschachtel enthalten ist. Wir wurden so kurz gehalten, als hätten wir Magengeschwüre.
    Aber ich denke, dass die Diät die Leute vor allemdaran hindern sollte, zu lange im Krankenhaus bleiben zu wollen. Und so durften wir uns absolut nichts von zu Hause mitbringen lassen.
    Unter denen, die nicht verstehen konnten, wie furchtbar eine salzlose Diät ist, waren auch viele meiner Freunde, die freien (lies: hungrigen) »Künstler«. Sie kamen mich besuchen, passten dabei das Mittag- oder Abendessen ab und aßen voller Freude die faden Makkaroni mit den üblichen Würstchen, die wie Krampfadern aussahen, die Eierkuchen, die aussahen, als seien sie aus hepatitisbefallener Leber, das schneeweiße Krankenhaus-Omelett – wir nannten es »Kuss eines toten Froschs«. Die Quarkkeulchen lagen einem im Magen, als wären es Pflastersteine vom Arbat. Die Tomaten erinnerten in ihrer Festigkeit an Kokosnüsse.
    Meine Freunde waren begeistert und meinten: Das hast du dir aber prima eingerichtet, Ira! Einer meiner arbeitslosen Bekannten dachte ernsthaft darüber nach, ob er sich nicht irgendeine Krankheit zulegen könnte.
    Â»Uh, viermal Essen am Tag! Vielleicht sollte ich auch ins Krankenhaus gehen! Zum Beispiel in die Urologie?«
    Ja, im Krankenhaus ist das Essen das einzige Vergnügen für Schwangere und kommt gleich nach der Verspottung ihrer Männer. Die Verdauung gehört zu den Lieblingsthemen. Wer was gern isst und wovon ihm schlecht wird.
    Nachts wurde ich wach vom Geschmatze und Geknusper. Oder es war ein Brechgeräusch hinter der Wand zu hören, auf das dann erneutes Schmatzen folgte …
    Â»Ich will keinen Mais, davon bekomme ich Blähungen.«
    Â»Oh, na dann probier mal diese Kinderkekse.«
    Â»Klasse. Ich könnte jetzt einen
Big Mac
essen. Das ist seltsam: Mir ist schlecht und gleichzeitig könnte ich einen
Hamburger Royal
verschlingen. Ich muss meinem Mann sagen, dass er mir einen mitbringen soll. Ach, hoffentlich kommt der überhaupt noch mal …«
    Schwangere werden immer wieder von der Angst befallen, dass ihnen ihre Lebensgefährten abhandenkommen könnten. Und diese Angst ist nicht ganz grundlos. Das Sexualleben gestaltet sich in dieser Zeit bei jedem anders. Die eine erlebt neue stürmische Gefühle mit ihrem Mann, der anderen ist jeder Wunsch vergangen. Hauptsache, nur der schwangeren Frau vergeht die Libido und nicht ihrem Partner.
    Â»Kaum war ich schwanger, hat er mich nicht mal mehr angefasst.«
    Â»Du hättest ihm erklären sollen, dass Schwangerschaft keine Syphilis ist.«
    Â»Ach, was habe ich ihm nicht alles erklärt. Sinnlos. Er sagte, er habe Angst, das Kind zu schädigen. Kam immer später von der Arbeit.«
    Â»Wie unschön …«
    Â»Ja, ich habe ihn kaum noch gesehen. Immer war er entweder im Internet oder beim Angeln. Ich wollte bis zum Schluss nicht ins Krankenhaus. Die Ärzte haben mich gezwungen, immerhin war es eine künstliche Befruchtung. Bevor ich ging, habe ich meine Unterhosen in der Suppe mitgekocht. Die soll er mal schön essen.«
    Â»Wozu?«
    Â»Na, damit er mich will. Es heißt, wenn man dem Mann sein Monatsblut unters Essen mischt, dann wird er einen nie verlassen.«
    Â»Aber du hast doch gar keine Menstruation.«
    Â»Und warum liege ich im Krankenhaus? Bei mir haben Blutungen eingesetzt, es gab das Risiko einer Fehlgeburt … Dieses Blut ist vielleicht noch wirksamer.«
    Â»Logisch.«
    Gespräche über Sex nehmen bei Schwangeren eine pathologisch asexuelle Färbung an.
    Â»Meine erste Schwangerschaft war auch riskant, ich durfte keinen Sex haben. Aber mein Mann wollte …«
    Â»Und wie hast du dich rausgeredet?«
    Â»Damals habe ich angefangen, ihm einen zu blasen. Vorher konnte ich das gar nicht. Aber da musste es sein. Bis heute kann ich kein Sperma schlucken – ich hatte damals ja auch diese schlimme Gestose.«
    Außerdem habe ich im Krankenhaus gelernt, dass man dem Mann zur Potenzförderung heimlich eine Kapsel Vitamin E verabreichen und ihm zur Förderung der Impotenz eine Borlösung unters Essen mischen muss.
    Aber egal. Die Nummer eins in der Hitparade aus Hoffnungen und Träumen, von Wünschen und Verlangen war das Essen.
    Auch
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