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Feenland

Feenland

Titel: Feenland
Autoren: Paul J. McAuley
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zusammenfinden,
um einen Blick auf den Messias zu erhaschen.
    Alex ist früh aufgestanden und hat bereits seine Mutter
besucht, um das Versprechen einzulösen, das er sich selbst gab
– für den Fall, daß er aus dem geplatzten Deal mit
heiler Haut davonkäme. Lexis hat einen neuen Freund, ein
schmächtiges Bürschchen, das sicher noch nicht
volljährig ist. Während seiner gesamten Anwesenheit sitzt
der Kleine im anderen Zimmer, säuft Dosenbier und guckt Football
im interaktiven Fernsehen, wobei er ständig von einem Standpunkt
zum anderen zappt und den Ton so laut dreht, daß die
papierdünnen Wände der Wohnung wackeln. Und das um zehn Uhr
morgens, verdammt noch mal!
    Als Alex Geld hatte, als er noch für den Zauberer arbeitete,
kaufte er seiner Mutter den Fernseher samt Satellitenschüssel,
neue Möbel fürs Wohnzimmer und die summende Klimaanlage
über der Glasschiebetür, die auf den engen Balkon
hinausführt. Er wollte ihr sogar ein Haus am Stadtrand kaufen,
aber sie sagt, das East End sei schon immer ihr Zuhause gewesen und
sie würde nie woanders hinziehen. Hier spielt sich das wahre
Leben ab. Die draußen in den Vororten sind tot und wissen es
nicht einmal.
    Lexis Sharkey. Seine Mutter. Eine Wasserstoff-Blondine, die, so
scheint es Alex, immer volles Make-up trägt: Puder, Lippenstift
und Wimperntusche, an diesem Morgen in einen billigen Nylon-Kimono
gehüllt, so lässig gebunden, daß er die
sommersprossigen, von schwarzer Spitze umrahmten Brüste
freigibt. Sie hält sich in Form, die temperamentvolle
Achtundvierzigjährige. Und sie weiß sofort, daß Alex
Ärger hat – sie konnten einander noch nie was
vormachen.
    Die Hochhaus-Wohnung, in der Alex aufwuchs, hatte so ähnlich
ausgesehen wie die von Lexis, mit schwarzem Schimmel an den
Wänden, Pharaoameisen in der Küche und einem im Wind
klappernden Panoramafenster, das einen Ausblick über die
glitzernden Schleifen der Themse bis hin zur Terra incognita von South London bot. Das Hochhaus mußte später einer
Zufahrtsstraße zum City Airport von London weichen, aber die
schäbigen Billigmöbel seiner Kindheit sind geblieben, dazu
Dutzende von eingestaubten Keramikfiguren, kitschigen Souvenirs und
künstlichen Blumen in geflochtenen Plastikkörben, der leere
Wellensittich-Käfig mit Spiegel und Glöckchen, ein Zugpferd
aus Porzellan, dessen abgebrochenes Hinterbein mit Sekundenkleber
repariert ist – Alex stieß es von einem Holzbord über
dem elektrischen Kaminfeuer, als er vier oder fünf war –
und ein ledernes Sitzpolster, das seit dem Tag, da Alex sich
einbildete, in dem Ding sei Geld versteckt, von einem
Taschenmesser-Schlitz verunstaltet wird. Er erinnert sich noch
lebhaft, daß er nichts außer gelben und grünen
vergammelten Schaumstoffbrocken fand. Sie hatten nie Geld besessen,
aber irgendwie waren sie immer durchgekommen. Lexis ist eine
Kämpfernatur.
    Lexis sagt, daß er nur ein Wort zu sagen braucht, wenn er in
der Klemme steckt, und Alex beruhigt sie und erzählt, daß
er gerade dabei ist, einen Deal abzuschließen, und sie
lächelt und zündet sich die nächste Zigarette an
– er hat ihr eine Stange Benson & Hedges mitgebracht,
verpackt wie ein goldener Ziegelstein, dazu eine Flasche Lamb’s
Navy Rum.
    »Du brauchst nur ein Wort zu sagen«, wiederholt sie und
stößt eine Rauchwolke aus. »Und wenn dir jemand
Verdruß macht, komm einfach zu mir. Die Jungs drunten im Club
erledigen das schon. Dafür hat man schließlich
Freunde.«
    Der Club ist Leroys Spielsalon, derzeit im Keller eines
leerstehenden Büro-Hochhauses untergebracht, wo sich Horden in
die Jahre gekommener Jamaikaner die Nächte mit Pool-Billard,
Domino und alten Reggae-Melodien vertreiben. Bob Marley und die
Wailers. Burning Spear. Max Romeo. Lexis dealt auch, allerdings in
kleinerem Rahmen, inzwischen vorwiegend mit selbst angebautem Weed,
aber damals in den neunziger Jahren, als die Sozialhilfe für
alleinerziehende Mütter immer mickriger wurde, war sie in den
Techno-Clubs und Rave-Schuppen unterwegs, tun Ecstasy und Whizz zu
verkaufen. Alex hat sich geschworen, seiner Mutter nicht einen Posten
der ansteckenden psychoaktiven Viren zu überlassen, die er in
seinem Labor maßschneidert und klont – nicht daß sie
ihn je darum gebeten hätte.
    »Dein Problem ist, daß du keine Freunde hast«,
erklärt Lexis ihrem Sohn. »Du denkst, daß du allein
klarkommst, aber das schaffst du nicht. Und nun sag schon, was los
ist!«
    Alex hat Freunde, aber die sind sicher in der
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