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Fear

Fear

Titel: Fear
Autoren: Tom Bale
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flatterten, und vielleicht hatte sie auch die Augen offen, doch kein Licht drang herein. Sie kniff sie fest zu, atmete so flach wie möglich, ihr ganzer Körper angespannt und vollkommen still, als ob die Reglosigkeit das Hämmern in ihrem Schädel lindern könnte. Es machte keinen Unterschied.
    Etwas Zeit verstrich, und vielleicht nickte sie wieder ein. Es war kein Schlaf, vielmehr eine Art Loslösen von ihrer Situation. Sie trat einen Schritt zurück von dem Schmerz, flüchtete sich in einen Zustand, in dem sie ihn mit einer gewissen Objektivität beurteilen konnte.
    Ein Schlag auf den Kopf vielleicht. Aber dann wäre der Schmerz doch wohl stärker eingegrenzt? Das hier war ein Gefühl, das ihren Schädel zum Bersten auszufüllen schien; es strahlte in ihr Rückgrat aus, es quoll ihr zu den Augen heraus wie Tränen oder Blut.
    Blut. Sie hob eine Hand ans Gesicht, berührte zögerlich die Haut, als ob sie einer anderen Frau gehörte. Sie fühlte sich heiß und verschwollen an, stellenweise feucht und ein wenig klebrig. Aber sie glaubte nicht, dass es Blut war; es fühlte sich eher wie Schweiß und Schmutz an.
    Dann vielleicht am Hinterkopf? Sie konnte den Kopf nicht heben, nicht solange ihr Schädel wie mit flüssigem Blei gefüllt war, aber sie konnte ihn drehen, sie konnte das trockene Knirschen ihrer Haare vernehmen, als sie ihn bewegte. Es fühlte sich normal an, nichts zu spüren von dem klebrigen Ziehen, das sie erwartet hätte, wenn sie in einer Blutlache läge.
    Sie blutete also nicht. Sie klebte nicht fest, war nicht gefesselt. Warum also …?
    Sie driftete wieder ab. Ihr Gehirn war irgendwie verstopft, wie in Öl getaucht. Alle Gedanken waren davon verpestet, kontaminiert von den schmierigen Nachbildern eines Alptraums: schmutzige Witze und schmutzige Hände; Straßenlaternen, die unter dem Dach eines Autos vorüberglitten.
    Wenn sie nicht verletzt war, dann war ihr Zustand vielleicht selbst verschuldet? Mein Gott, sie hatte schon öfter einen fürchterlichen Kater gehabt, aber so schlimm war es noch nie gewesen. Sie dachte an ihre Eltern, mit ihren üblichen Warnungen vor den Folgen des exzessiven Trinkens. »Jetzt hör mal zu … wir wissen …«
    Die Erinnerung riss jäh ab.
    Ihr Name war weg.
    Wie heiße ich?
    Sie hätte lachen können, wenn sie nicht solche Angst gehabt hätte. Sie hatte ihren eigenen Namen vergessen, so wie man manchmal den Namen eines Schauspielers im Fernsehen vergisst. Ihrer Mutter ging es ständig so: Ist das nicht der, der in diesem Film mit Soundso mitgespielt hat – der Detektiv? Im wirklichen Leben ist er mit der Frau aus dieser albernen Werbung verheiratet, du weißt schon, wen ich meine. Hat lange Haare und so eine total nervige Stimme …
    Okay. Fang mit Mum und Dad an. Sie waren besorgt wegen ihres übermäßigen Alkoholkonsums. Sie bemühte sich, vor ihrem inneren Auge ein Bild der beiden aufzurufen, doch alles, was sie zustande brachte, war ein typisches Paar in mittleren Jahren: graue Haare, keine besonderen Kennzeichen. Wer waren sie?
    Die Lücke war so verstörend, dass sie die Frage wieder in der Teerbrühe versinken ließ. Ein weiterer verirrter Gedanke tauchte an die Oberfläche wie eine Luftblase.
    Party.
    Da war eine Party gewesen – nein, es war von einer Party die Rede gewesen. Sie war in einem Pub gewesen oder vielleicht in einem Café, und jemand hatte die Idee gehabt, woanders hinzugehen.
    Schmutzige Witze und schmutzige Hände; Straßenlaternen, die über sie hinwegglitten, als sie auf den Sitz niedersank …
    Etwas Besseres als das hier, hatte er gesagt. In einer anderen Stadt, nicht allzu weit von hier. »Komm schon, Jenny, etwas Besseres kriegst du nicht geboten.«
    Jenny. Sie hieß Jenny.
    Erleichterung durchflutete sie. Sie hatte einen Namen. Eine Identität.
    Und vielleicht, ganz vielleicht, ließ der Schmerz in ihrem Kopf ein wenig nach. Sie gab das Grübeln auf und konzentrierte sich stattdessen darauf, besser zu atmen: langsam und tief, nicht schnell und flach. Die Minuten verstrichen, allmählich zogen die Schmerzen sich zurück wie das Meer bei Ebbe. Sobald sie etwas ruhiger war und das Gefühl hatte, wieder relativ klar im Kopf zu sein, schlug sie die Augen auf und sah …
    Nichts.
    Sie blinzelte, spürte das Kitzeln ihrer Wimpern. Da war nichts auf ihren Augen; nichts, was ihre Sicht behinderte. Sie lag in völliger Dunkelheit.
    Sie hob einen Arm vor ihr Gesicht, nur Zentimeter vor ihren Augen entfernt, und konnte absolut nichts erkennen.
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