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Fear

Fear

Titel: Fear
Autoren: Tom Bale
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wenn er die Pinselborsten auf den Putz drückte, gab es einen feinen Sprühnebel; und bis zum Abend würde er wahrscheinlich von Kopf bis Fuß mit kleinen Farbpünktchen übersät sein.
    Aber im Augenblick empfand er nur Dankbarkeit für diesen mühseligen Job. Ein glatter Putz hätte bedeutet, dass er hoch oben auf einer Leiter gestanden hätte, weithin sichtbar und exponiert.
    Er achtete sorgfältig darauf, kein Geräusch zu machen, als er die Schutzbrille abnahm und auf das Brett legte. Dann zog er die Mütze ab und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Seine Aufmerksamkeit war zur Hälfte auf das Gespräch unten auf der Straße gerichtet, zur anderen auf das Abwägen seiner Möglichkeiten.
    Der Mann, den er noch nicht kannte, sprach als Erster. »Wir suchen den Kerl hier. Haben Sie den irgendwo gesehen?«
    Eine Pause. Joe riskierte noch einen Blick über die Kante. Der Mann hatte graue Haare, die er glatt zurückgekämmt trug, und eine kahle Stelle am Hinterkopf. Er trug eine Jeans und eine abgewetzte, alte braune Lederjacke. Gerade zeigte er Ryan ein Foto.
    Joe konnte es nicht genau erkennen, aber das war auch nicht nötig. Er wusste genau, hinter wem sie her waren.
    Ryan schniefte. »Kenn ich nicht.«
    »Aber er soll hier irgendwo arbeiten.«
    »Gelegenheitsjobs«, warf der andere Mann ein. »Schwarz, höchstwahrscheinlich.«
    Das war Danny Morton – ein schmächtiger, reizbarer Mann mit schmalen Schultern und langen, knochigen Fingern. Kurz geschnittene braune Haare, die in alle Himmelsrichtungen abstanden, und ein dünnes Gesicht mit einer rosafarbenen runzligen Narbe von der Größe einer Erbse in der Mitte seiner linken Wange.
    »Von so was lass ich die Finger«, erwiderte Ryan. »Lohnt sich heutzutage doch gar nicht mehr zu bescheißen – ist den ganzen Stress nicht wert. Was weiß denn ich, ob ihr Burschen nicht von der Steuerfahndung seid?«
    »Seh’ ich etwa aus wie so ein Steuerfuzzi?«, knurrte Danny.
    Ryan ignorierte die Frage. »Wer soll das überhaupt sein?«
    »Er heißt Joe Clayton«, antwortete der andere. »Sind Sie sicher, dass Sie ihn nicht kennen?«
    »Kann sein, dass er inzwischen anders aussieht als auf dem Foto«, fügte Danny hinzu. »Neue Frisur. Ein paar Jahre älter.«
    »Ich kenn ihn trotzdem nicht. Tut mir leid.«
    Joe fand, dass Ryan ziemlich überzeugend klang, aber er sehnte das Ende des Gesprächs herbei. Je länger es dauerte, desto größer wurde die Gefahr, dass Ryan sich verplapperte.
    Ein schlurfendes Geräusch – der Typ mit der Lederjacke hatte das Foto wieder an sich genommen und sich vielleicht schon in Bewegung gesetzt, aber Joe spürte die Anspannung, die in der Luft lag. Er stellte sich vor, wie Ryan das Gehörte verarbeitete, und ihm war klar, vor welchem Dilemma der junge Mann stand. Es gab genau eine Frage, die jemand, der nichts zu verbergen hatte, einfach stellen musste.
    »Was wollt ihr denn eigentlich von ihm?«
    Es war Danny Morton, der antwortete. »Er hat meinen Bruder ermordet.«
    2
    Joe wagte nicht, sich zu rühren. Angesichts dessen, was Ryan gerade gehört hatte, könnte schon ein kurzer, unbewusster Blick nach oben ihn verraten.
    Seine Möglichkeiten zur Selbstverteidigung waren, gelinde gesagt, begrenzt. Er könnte vielleicht warten, bis Danny oder sein Kumpel oben auf der Leiter angekommen war, um ihm dann einen Farbeimer um die Ohren zu schlagen …
    Der Haken daran war, dass sie es gar nicht nötig hatten, das Gerüst zu erklimmen. Joe wusste, dass Danny gewohnheitsmäßig eine Waffe trug – und er war durchgeknallt genug, sie auch zu benutzen.
    Das bedeutete, dass Flucht die bessere Alternative war. Ein Schlafzimmerfenster einschlagen, zur Gartentür raus und über das Nachbargrundstück fliehen. Zwanzig oder dreißig Sekunden Vorsprung würde ihm das wohl verschaffen – vielleicht gerade eben genug.
    Er hoffte, weder das eine noch das andere tun zu müssen. Es hing jetzt alles von Ryan ab. Ob er loyal bleiben oder einknicken würde.
    »Mein Gott«, sagte Ryan. »Also ist er auf der Flucht?«
    »Vier Jahre schon.«
    »Und ist er gefährlich oder so? Ich meine nur, weil die Polizei doch immer sagt, man soll Abstand halten …«
    »Wir wissen, dass er hier irgendwo ist, und wir wollen ihn uns kaufen.« Danny klang ungeduldig, und dazu hatte er auch allen Grund. Ryans neugierige Art hatte Joe in den vergangenen Wochen schon zuweilen in den Wahnsinn getrieben; in diesem Moment war sie eine taktische Meisterleistung.
    »Ich werde die Augen offen
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