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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut
Autoren: Nina Blazon
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hervorquellen müssen, doch stattdessen ergoss sich nur ein Rinnsal klaren Wassers auf den Boden und bildete eine kristallhelle, spiegelnde Lache unter dem Kopf. Die Haut war weiß, fast durchsichtig, und blutleer.
    Das war kein Mumiengesicht und auch keine Bestienfratze. Es war ein menschliches Gesicht – nun, beinahe menschlich –, anmutig und fein geschnitten, mit blassen Lippen. Über die hohen Wangenbögen zogen sich spinnenfeine Verästelungen wie Risse in einem alten Gemälde. Im gelblichen Glanz der aufgehenden Sonne sah es so aus, als würde sich Blattgold von der Haut lösen, ganz so als hätte jemand vor vielen Jahrhunderten ein Porträt gemalt und das Bild der Witterung preisgegeben. Es war ein zartes, verwundbares Gesicht, dessen Anblick in Jade den irritierenden Wunsch weckte, mit den Fingern darüber zu streichen. Nur die Augen, leer und offen wie der Himmel, waren so tot, wie manche Geschichten erzählten. Dennoch irrlichterte darin immer noch der Abglanz von Erstaunen und … Furcht!
    Bellen und Rufe erklangen nun von überall, auch von der anderen Seite des Kanals. Sie haben uns eingekreist , fuhr es Jade durch den Kopf. Im selben Augenblick dachte sie irritiert: »uns« ?
    Dann spürte sie bereits heißen, nach rohem Fleisch riechenden Hundeatem im Genick.
    »Aufstehen!«, befahl eine strenge Frauenstimme. Jade kam zitternd auf die Beine. »Du hast das zweite gesehen?«, fuhr die Jägerin sie an. Es war die junge Frau mit dem Schachbrettmantel und sie war völlig außer Atem. Vergeblich versuchte Jade, einen zweiten Blick auf das tote Echo zu werfen, doch plötzlich war der ganze Platz vor der Brücke voller Hunde und Jäger, die ihr die Sicht versperrten.
    Die Jägerin packte sie grob am Arm. »Das zweite! Hast du es gesehen?«, brüllte sie.
    Jade nickte benommen.
    »Wohin ist es gelaufen?«
    Jade wollte etwas sagen, doch dann fielen ihr die Hunde auf. Ratlos liefen sie hin und her, die Nasen am Boden, auf der Suche nach Spuren. Ob sie die Echos überhaupt aufspüren konnten? Wenn die Echos Wasser statt Blut in den Adern hatten …
    »He! Ich rede mit dir!« Die Jägerin schüttelte sie grob. »Wohin?«
    Jade hob den Arm und deutete – nicht nach Norden, sondern in die andere Richtung. Was tust du da? , schrie eine panische Stimme in ihrem Kopf. Bist du wahnsinnig geworden? Du schützt ein Echo. Doch dann sah sie wieder die leeren Augen vor sich und sie brachte kein Wort über die Lippen. Die Jägerin deutete ihren verwirrten Gesichtsausdruck offenbar falsch, denn sie nickte und ließ sie los. »Zum alten Seidenmarkt!«, befahl sie. Ein Dutzend anderer Jäger pfiffen ihre Hunde herbei und rannten in die angegebene Richtung. Nur die Jägerin selbst und zwei weitere Männer, die das tote Echo mit seinen Lumpen verhüllt hatten, blieben zurück. Aus zusammengekniffenen Augen musterten sie Jade. Sie wusste, wie sie auf die Jäger wirkte: eine junge Frau mit einem gestreiften Stirnband, dazu die weiten Leinenhosen, die bloßen, aufgeschürften Füße und das wilde Haar. Und zu allem Überfluss war sie noch ganz allein in der verbotenen Stadt unterwegs. Zum Glück hatte sie ihren Rucksack nicht mehr bei sich, sonst wären sie gleich auf die Idee gekommen, dass sie auf dem Weg zum Schwarzmarkt war.
    »Du bist eine vom Boot?«, fragte die Jägerin barsch. Der Galgo, der neben ihr stand, entblößte die Fänge und knurrte.
    Jade schüttelte den Kopf. »Zum Hotel Larimar gehöre ich«, sagte sie mit betont fester Stimme. »Mein Vater ist Jakub Livonius. Die Lady kennt ihn.«
    Nun, das war ein wenig übertrieben, die Lady erinnerte sich nur selten an gewöhnliche Bürger, die bei ihr um Audienz baten. Aber immerhin prangte im großen Empfangszimmer eine von ihr unterschriebene Genehmigung, die besagte, dass Jakub das alte Haus am Fluss als Hotel betreiben und selbst dort wohnen durfte.
    Die Jägerin runzelte die Stirn. Ihre Augen hatten etwas Katzenhaftes. Misstrauen blitzte darin auf. Erstmals fiel Jade auf, dass die Frau kaum älter war als sie selbst, vielleicht zwanzig.
    »Livonius, aha«, meinte sie trocken. »Vorname?«
    »Jade.«
    »Städterin, hm? Dann zeig mir dein Zeichen. Na los!«
    Jade rollte gehorsam ihren linken Ärmel hoch. Auf ihrem Unterarm prangte das Zeichen von Lady Mar, eine winzige Lilie, in die Haut gestochen mit der weißen Asche verbrannter Blüten. Jeder Stadtbewohner trug dieses Zeichen. Es war ein Geschenk der Lady und manchmal auch so etwas wie eine Lebensversicherung. Je
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