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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut
Autoren: Nina Blazon
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Nebel verwehten, als Martyn das Boot in das Delta lenkte. Sie passierten die Hafenbucht, in der sich alle Fähren versammelt hatten. Martyn warf den Motor an, und Jade genoss die kühle Brise in ihrem Gesicht, als sie am Leuchtturm vorbeifuhren und von dort aus an der Küste entlangschipperten. Das Meerwasser war nicht grün und glatt, sondern rau und von einem tiefen Indigoblau. Wellen ließen das Boot schaukeln.
    »Dort hinüber!«, rief Jade Martyn zu und deutete auf eine Reihe von flachen Kalkfelsen. Ihr Freund sah sie skeptisch an. Im Wind flackerten seine windzerzausten Locken wie die Strahlen einer Sonne, und Jade verwahrte diesen Anblick wie ein kostbares Bild tief in ihrer Brust, um es in einsamen, kalten Stunden hervorzuholen und sich daran zu wärmen.
    »Aber du wolltest doch zu den roten Felsen?«, rief Martyn ihr über das Motorengeräusch zu. Jade schüttelte den Kopf. »Lass mich da vorne raus, ich gehe den Rest zu Fuß!«
    Sie sah ihm an, dass ihm dieser Gedanke überhaupt nicht gefiel, aber er zuckte mit den Schultern und lenkte das Boot zum Ufer. Meereswellen schwappten gegen muschelbewachsenen Kalk. Martyn stellte den Motor ab und brachte das Boot mit dem Ruder seitwärts zu einem der flacheren Felsen.
    »Der Rucksack ist schwer«, sagte er. »Ich steige mit aus und bringe dich hin.«
    Er stand schon auf, doch Jade legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Ich gehe allein«, bestimmte sie.
    Martyn schnaubte. »Also schön«, meinte er ungehalten. »Geh zu ihm, wenn du es nicht lassen kannst. Aber du weißt ja, was ich darüber denke.«
    »Allerdings«, erwiderte Jade. »In den letzten Tagen hast du es mir ungefähr hundert Mal gesagt.«
    »Zweihundert Mal«, konterte Martyn ungerührt. »Aber was will man schon von einem Dickschädel erwarten, der halb von wild gewordenen Flusswesen und halb von Jakub abstammt.«
    Es war ein vertrautes Spiel, das ihr einen warmen Schauer der Vertrautheit durch die Brust rieseln ließ. Und Jade musste schlucken, so sehr war ihr plötzlich nach Weinen zumute. Auch Martyn wurde wieder ernst und räusperte sich, doch dann trat er vor und schloss sie fest in die Arme. »Pass auf dich auf und geh Lady Tod aus dem Weg!« Und dann senkte er die Stimme und flüsterte ihr ins Ohr: »Und jetzt raus aus meinem Boot!«
    Und Jade musste unter Tränen lachen.
    *
    Im Morgenlicht wirkten die roten Felsen noch blass. Selten hatte Jade sie von der Landseite aus gesehen, und nun staunte sie, wie weit und blau das Meer sich dahinter erstreckte. Vorsichtig setzte sie den Rucksack ab und dehnte ihre verkrampfte Schulter. Dann holte sie noch einmal Luft, um etwas ruhiger zu werden, und schritt auf die Felsen zu. Sie entdeckte Faun schon von Weitem. Er saß auf dem Felsen, der am weitesten in das Meer hineinragte, und hielt Ausschau. Offenbar wartete er auf ihr Boot. Und natürlich war er nicht allein.
    Jade blieb abrupt stehen. Der Wind schien sie weiterziehen zu wollen, aber sie stemmte sich dagegen und verharrte mit klopfendem Herzen.
    In den Albträumen der vergangenen Nächte hatte sie sich tausend verschiedene Wesen vorgestellt, eines bedrohlicher und fremdartiger als das andere. Nun hätte sie erleichtert sein müssen, aber seltsamerweise begann ihr Herz bei Jays Anblick trotzdem zu rasen.
    Sie war froh, dass sie den Wind im Rücken hatte und das Raubtier sie nicht wittern konnte.
    Es war der größte Wolf, den sie je gesehen hatte. Schon im Liegen war er so hoch wie Tams Hunde im Stehen. Faun hatte eine Hand in dem dichten schwarzgrau gestromten Nackenfell vergraben. Sie strahlten eine so intensive Vertrautheit aus, dass es Jade einen Stich gab. Zwillinge , dachte sie. Das sind sie wirklich.
    Jay hätte sie mit seinem Instinkt als Erster bemerken müssen, aber es war Faun, der sich plötzlich umsah. Sofort ließ er Jay los, sprang auf und begann zu strahlen. Plötzlich war alles wieder da: die Nächte, die Küsse und die ziehende, brennende Sehnsucht, das Flirren der Freude, ihn jetzt zu sehen – aber auch das Bedrohliche, das Gefühl von Elfenbein und Eisen in ihrer Hand, der Rückstoß der Pistole und das andere, dunkle Gesicht. Blutjäger , dachte Jade und fröstelte.
    Atemlos kam Faun bei ihr an. »Ich habe die letzten drei Tage darüber nachgedacht, ob du wirklich kommen würdest«, rief er.
    Jay erhob sich mühsam auf dem Felsen und wandte sich ihnen zu.
    Faun wollte auf Jade zustürzen, doch ihr leichtes Zurückzucken ließ ihn sofort verharren. Ein Schatten huschte über
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