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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut
Autoren: Nina Blazon
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sein Gesicht. Alles in Jade sehnte sich danach, ihn zu berühren, aber sie schaffte es nicht, den letzten Schritt zu machen.
    Jay setzte sich in Bewegung, und Jade sah, dass er eine Art von Wolf war, die sie noch nie gesehen hatte. Schmaler und hochbeiniger, mit einem größeren Brustkorb und Streifen über den Schultern, die auf seiner Brust in einem schwarzen V zusammenliefen. Er war so groß, dass er einem Mann bis zur Hüfte reichte. Langsam, als würden ihm die Schritte noch Konzentration abverlangen, kam er heran und tauchte unter Fauns Hand. Jade blickte in ein hageres, schönes Wolfsgesicht, aus dem Augen, matt wie Perlmuttscheiben, ins Leere starrten. Bestürzt erkannte sie, dass der Wolf blind war. Er war alt, um die Schnauze herum war das Fell bereits weiß und drahtig. Und aus der Nähe betrachtet, war er längst nicht so kräftig, wie das dichte Fell vermuten ließ. Die Rippen stachen hervor. Die Geräusche des Wassers und der Wind schienen ihn zu irritieren.
    »Die lange Dunkelheit hat ihn blind gemacht«, sagte Faun leise. »Und nach den Jahren im Käfig wird er noch eine ganze Weile brauchen, um sich zu erholen.«
    »Du siehst genug für euch beide im Dunkeln«, sagte sie. Beim Klang ihrer Stimme witterte der Wolf in ihre Richtung und ließ ein misstrauisches Knurren hören. Erschrocken machte sie einen Schritt zurück. Faun biss sich auf die Unterlippe und flüsterte Jay sanft etwas in der Sprache der Nordländer zu.
    »Er wird sich an dich gewöhnen«, sagte er entschuldigend. Nervös biss er sich auf die Unterlippe. Furcht flackerte in seinem Blick. »Das heißt, wenn du … wirklich bei mir bleibst.«
    Jade nahm ihren ganzen Mut zusammen und streckte die Hand nach Faun aus. Jay verharrte zwar, doch sein Fell sträubte sich. Jade spürte, wie ihr Herz sofort schneller schlug. Aber Faun lächelte erleichtert und trat vorsichtig, als wollte er sie nicht vertreiben, näher. Moos, Schnee. Und Farne. Es war, als hätte der Duft etwas in ihr geweckt, etwas Warmes, Sanftes und Geborgenes. Ihre Finger berührten sich. Einen Wimpernschlag lang zögerte Jade noch, dann umarmte sie ihn. Behutsam, um ihre Schulter nicht zu berühren, legte er die Arme um ihre Taille und zog sie zu sich heran. Das honigrote Licht glomm in den Mitternachtsaugen, und Jade fragte sich, ob er in diesem Augenblick das Echo vor sich sah oder die Frau, die er liebte. Sie konnte spüren, dass er ebenso unsicher war wie sie. Ob es uns gelingen wird? , dachte sie. Ganz neu anzufangen? Dann überschritt sie die letzte Grenze und küsste ihn. Wieder war es wie Fallen und Wärme und ein glühendes Strömen. Sie spürte das Gefährliche an diesem Kuss, doch als Faun sich von ihr löste und ihr in die Augen sah, war es wieder sein Lachen, das sie daran erinnerte, warum sie ihn liebte.
    »Und nun?«, fragte er zärtlich. »Zu den Nordwäldern? Oder den Zitadellen?«
    »Erst einmal an der Küste entlang«, sagte sie. »Durch die Uferwälder zur nächsten Stadt. Und von dort aus vielleicht über das Meer zu den südlichen Inseln.«
    Faun lachte und nickte, dann ließ er sie zögernd los. Gerade wollte er zu den Felsen zurückgehen, um das Bündel mit seinen Sachen zu holen, als Jade ihn noch einmal zurückhielt. »Faun?«, fragte sie leise. »Du duftest nach Schnee und Wald, wusstest du das?«
    Er zuckte mit den Schultern und schenkte ihr ein verschmitztes Lächeln, das ihr den Atem nahm. »Und du nach Mond und Wolken«, raunte er ihr zu. »Und ein bisschen auch nach Zimt – wie die Flussblüten.«
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