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Faunblut

Faunblut

Titel: Faunblut
Autoren: Nina Blazon
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bin am Kanal ausgerutscht. Ich habe versucht, auf ein Boot zu springen, und musste dann durch den Schlick waten.«
    Lilinn rang sich ein schwaches Lächeln ab und begann, ihren nassen Rock auszuwringen. Die Geste wirkte so ruhig, dass niemand außer Jade bemerkt hätte, wie sehr Lilinns Hände dabei zitterten.
    »Warum hast du mir kein Zeichen gegeben?«, fragte Jade.
    »Versucht habe ich es, aber du hast nicht zu mir heruntergeschaut! Was sollte ich machen? Nach dir pfeifen? Ich hatte mich hinter die Mauer gestellt, hättest du fünf Sekunden länger gewartet, statt wegzulaufen, dann hättest du mich gesehen.«
    »Ich musste fliehen. Da war ein Echo. Und die Jäger … haben es erschossen.«
    Es kostete sie einige Beherrschung, die Worte ganz sachlich auszusprechen, ohne die Trauer, das Entsetzen und die Verwirrung preiszugeben. Lilinn richtete sich auf. Ihre Augen wurden groß. Lichtreflexe des Flusses spiegelten sich darin.
    »Du hast gesehen, wie sie es getötet haben?«
    Jade konnte nur stumm nicken.
    »In deiner Nähe?«
    Jade räusperte sich. »Sie haben es direkt vor meinen Augen erschossen und …«
    … und ich habe dem anderen Echo zur Flucht verholfen.
    Doch das wäre ungeheuerlich gewesen, unaussprechlich. Also biss sie sich auf die Zunge und verstummte.
    Lilinn war so blass geworden, dass Jade sich einbildete, wieder das Echo vor sich sehen – die Furcht in den Augen ließ sie noch mehr wie einen Zwilling des Ungeheuers wirken. Jade musste wegschauen.
    »Den Tod zu sehen ist nie schön«, murmelte Lilinn nach einer Weile. »Danke der Flussfee auf Knien, dass du entkommen bist!«
    Jade nickte und warf einen letzten Blick zur toten Stadt, bevor sie Lilinn zuwinkte, ihr über die Brücke zu folgen. »Am besten, wir gehen zurück«, sagte sie mit ihrer vernünftigen Stimme, die zum Glück nicht ganz verschwunden war. »Und bitte sag Jakub nichts von den Echos. Du weißt, wie er auf sie reagiert.« Als Antwort seufzte Lilinn nur und nickte.
    »Warte!«, rief sie, als Jade schon die Brücke betreten wollte. Sie sprang zu ihr und begann damit, ihr die Steinsplitter aus dem Haar zu zupfen. »Und wenn du klug bist«, meinte sie mit Nachdruck, »verschweigst du Jakub auch, dass wir in der Schusslinie der Jäger waren.«

Das Herz des Hauses
    Das Hotel Larimar war älter als die Herrschaft der Lady und hatte schon vor der Erbauung der Greifenbrücke existiert. Manche sagten, es sei sogar älter als die tote Stadt. In der Tat erinnerte sich sogar der hundertjährige, zahnlose Ben, der auf dem Hafenmarkt bettelte, in seinen hellen Augenblicken daran, schon als Kind die zwei Steinaale bewundert zu haben, die sich wie ein grotesker Zierrat um ein rundes Fenster in der Hotelfassade wanden. Der Haupteingang des ehemaligen Herrenhauses zeigte zum Fluss, nicht zur Straße, eine Treppe führte von der Türschwelle in die grünen Fluten, was es den Gästen erleichterte, direkt von der Fähre ins Hotel zu gelangen. Auf der Rückseite des Gebäudes, das der Straße zugewandt war, befand sich lediglich eine schmale Tür, kaum mehr als ein Dienstboteneingang. Ein gewisser Jostan Larimar hatte das Haus errichten lassen, zumindest sagte das eine Inschrift über der Tür. Die Jahreszahl daneben war schon vor langer Zeit abgebröckelt und vom Fluss davongetragen worden. Vierzehn der insgesamt achtunddreißig Zimmer hatten große Bäder mit Wannen aus Messing, das mit den Jahren dunkel geworden war. Das falsche Blattgold an den Wänden hatte sich rötlich verfärbt, was den Räumen ein Flair von rostiger, leicht verstaubter Pracht verlieh. Niemand wusste, was Larimar dazu veranlasst hatte, sein Haus verkehrt herum und so dicht am Fluss zu bauen. Manche mutmaßten, die Wila sei zu jener Zeit noch nicht so breit gewesen, deshalb hätte damals noch ein Weg zwischen Haus und Flussufer entlanggeführt. Andere waren davon überzeugt, dass ein dunkles Geheimnis dahintersteckte, ein Fluch, ein Pakt oder Schlimmeres. Eine der zahlreichen Stadtlegenden erzählte, das Haus besäße ein pulsierendes Herz aus Flusskorallen, tief unten im feuchten, vom Fluss unterspülten Keller. Reisende, die eine Nacht in den verwitterten Räumen verbracht hatten, schworen sogar, in der Dunkelheit den Herzschlag des Hauses gehört zu haben. Und die Flussleute, die nichts so sehr liebten wie Geschichten von Leidenschaft und Lust, schürten diese Gerüchte und erzählten jedem Neuankömmling, das Hotel erwache Nacht für Nacht zum Leben, um sich der Umarmung des
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