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Fatal Error

Titel: Fatal Error
Autoren: Michael Ridpath
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restliche Prozent.
    Und wer stand an der Spitze der Hierarchie? Nun, Torsten saß fast ganz oben auf der Leiter, aber über allen thronte natürlich Guy.
    In diesem Jahr waren wir Zimmergenossen. Der Valentinstag ist in jeder Schule peinlich, war aber in diesem Februar besonders demütigend für mich. Ich hatte nur eine einzige Karte bekommen - von einem bedauernswerten Mädchen mit dicker Brille in meinem Mathekurs, die später eine Top-Analystin in einer Investmentbank wurde. Guy bekam dreiundsiebzig. Die meisten stammten vermutlich von Dreizehn- oder Vierzehnjährigen, die er gar nicht kannte, aber auch so ... Im letzten Sommer hatte er die Hauptrolle in einer privaten Aufführung von Grease gespielt und dabei einen so nachhaltigen Eindruck bei der weiblichen Hälfte der Schülerschaft hinterlassen, dass die Wirkung noch im
    Februar zu spüren war. Groß, dunkel und unauffällig, wie ich war, wusste ich zwar, dass ich keine Konkurrenz für Guy sein konnte, doch mein Ego war angeschlagen, und das nicht zum ersten Mal. Wirklich ärgerlich fand ich allerdings, dass er sich noch nicht einmal zu freuen schien. Er hielt das alles für selbstverständlich.
    Obwohl ich mit Guy ein Zimmer teilte, war er sehr diskret, was sein Liebesleben anging. Ich vermutete zwar, dass er »es schon wirklich getan« hatte, doch er prahlte nicht damit. Allerdings schien es in seinen Beziehungen ein bestimmtes Muster zu geben. Man sah ihn mit irgendeinem hinreißenden Mädchen von sechzehn oder siebzehn, das er belagerte, bezauberte, zum Lachen brachte, wochen- oder sogar monatelang, bis er es dann plötzlich fallen ließ. Zwei Tage später war er hinter jemand anders her.
    Gegenwärtig galt sein Interesse einem Mädchen namens Mel Dean, die ebenfalls im letzten Jahr war. Sie war keine klassische Schönheit wie seine anderen Eroberungen, aber mir war schon klar, was ihn anmachte. Mit engen Pullovern und Schmollmund signalisierte sie ständige Bereitschaft, galt aber als eiserne Jungfrau.
    »Heiß, aber frigid«, wie es in unserem Jargon hieß. Eine unwiderstehliche Kombination für Guy.
    An diesem Abend blieb ich lange auf, weil ich noch ein paar Seiten Krieg und Frieden schaffen wollte. Heute frage ich mich, wie ich so dumm sein konnte, das Buch im Abiturhalbjahr in Angriff zu nehmen. Aber ich glaubte es meinem Selbstverständnis als Intellektueller schuldig zu sein.
    Guy kam ins Zimmer gepoltert und zog sich aus. »Hör zu, Davo. Es ist nach elf. Ich bin vollkommen erledigt. Kann ich das Licht ausmachen?« »Von mir aus«, sagte ich in gespielter Enttäuschung. Tatsächlich hing ich seit zehn Minuten auf derselben Seite fest. Es war höchste Zeit, sie von ihrem Elend zu erlösen. Wie ein Stein fiel das Buch zu Boden. Guy machte das Licht aus und warf sich auf sein Bett.
    »Davo?«
    »Ja?«
    »Hast du Lust, im Sommer mit zu meinem Vater zu kommen?«
    Zunächst traute ich meinen Ohren nicht. Dass Guy mich zu seinem Vater nach Südfrankreich einlud, war eine Überraschung, fast ein Schock. Wir mochten uns, achteten einander auch, doch zu Guys Freunden hatte ich mich nie gezählt. Jedenfalls nicht zu dieser Art von Freunden. Guy war mit Leuten wie Torsten oder Faisal zusammen, dem kuwaitischen Prinzen, oder mit Troy Barton, dem Sohn des Filmstars Jeff Barton. Mit Jungs, deren Eltern viele Millionen Pfund und Häuser in der ganzen Welt besaßen. Mit Jungs, die sich in Paris oder Marbella trafen. Nicht mit solchen, die im Wohnwagen nach Devon fuhren.
    »Davo?«
    »Oh, ’tschuldigung.«
    »Was ist? Es wird dir gefallen. Er hat ein tolles Haus auf den Klippen mit Blick über Cap Ferrat. Ich bin noch nicht selber dort gewesen, aber es soll phantastisch sein. Er hat gesagt, ich soll ein paar Freunde mitbringen. Mel und Ingrid da Cunha kommen auch mit. Hast du Lust?«
    Warum nicht? Er meinte es ernst. Zwar wusste ich nicht, woher ich das Geld für den Flug nehmen sollte, aber ich wusste, dass ich mitmusste. »Willst du das wirklich?«
    »Natürlich.«
    »Okay«, sagte ich, »dann komme ich gern mit. Danke.«
    Ich führte die Champagnerflöte an die Lippen und blickte aus siebentausend Metern Höhe auf die alten Vulkane des Massif Central hinab. Wie sich herausgestellt hatte, musste ich kein Geld für das Flugticket zahlen. Wir hatten uns in Biggin Hill getroffen, einem Flugplatz im Süden von London, und waren an Bord des Jets geklettert, der Guys Vater gehörte. Wenige Minuten später waren wir in der Luft gewesen und hatten Kurs auf Nizza
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