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Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Titel: Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling
Autoren: Alex Capus
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den anderen unentschuldigt nicht mehr zur Arbeit erschien. Aber einen steten Anlass zu heimlichem Vergnügen hat Feuerstein unwissentlich doch eingeführt, und zwar am ersten Arbeitstag, als er das Portrait des Führers an die Wand hängte. Denn eines weiß der schnittige Filialleiter nicht, kann es gar nicht wissen von seinem Platz aus: dass das Ofenrohr auf seinem Weg vom Ofen zum Schornstein dem Führer mitten über die Stirn fährt – von Lindners Pult aus gesehen zumindest. Und wenn Lindner nur ein ganz klein wenig den Hals streckt, so verschwinden auch diese stechenden Augen hinter dem angerosteten Blech, und übrig bleibt nur das schwache Kinn und das säuerliche Gouvernantenmündchen.
    »Lindner! Kaffee holen.«
    Lindner steht auf. Seit zweiunddreißig Jahren empfängt er täglich um acht Uhr fünfunddreißig den Befehl zum Kaffeeholen. Seit zweiunddreißig Jahren ruft er »Jawoll!« läuft über die Wagenburgstraße ins Kaffeehaus und kehrt zurück mit einem Tablett, auf dem zwei Tassen und Löffel, eine Zuckerdose und zwei Kännchen mit Kaffee und Sahne stehen. Nur einen Sommer lang hat er diesen Botengang nicht getan in all den zweiunddreißig Jahren; das war 1918 , als Kaiser Wilhelm sich nach langem Zögern doch noch entschloss, Lindner für die letzten Kriegsmonate an die Westfront zu schicken. Dabei hatte Lindner das Pech, noch am achten August an der Somme einen Granatsplitter einzufangen, und seither zieht er das linke Bein etwas nach und spürt, wenn es Schnee gibt.
    Lindner und Feuerstein rühren schweigend in ihren Tassen. Lindner rührt lautlos, wie es sich gehört, und ärgert sich wie jeden Morgen still, aber furchtbar über das ungenierte Geklingel in Feuersteins Tasse. Die Wanduhr tickt laut und zuverlässig. Da nähert sich von fern das Brummen eines Autos und verstummt vor dem Eingang.
    Feuerstein stellt sich am Schalter auf und schaut zur Tür in Erwartung der ersten Kundschaft des Tages, während Lindner mit dem Tablett im Hinterraum verschwindet. Gut möglich, dass es die schöne Frau Niemayer ist, die jeden Samstag mit dem Taxi vorfährt und ihr Taschengeld abhebt von einem Konto, von dem der Herr Gemahl nichts ahnt. So sind sie, diese Weiber aus dem Villenviertel, die wer weiß aus welchen weichen Betten steigen, die Wangen wundgekratzt von einem fremden Stoppelkinn, und dann hier vorfahren, wie wenn es das Gewöhnlichste von der Welt wäre! Letzten Samstag zum Beispiel hat die Niemayer an Feuersteins Schalter gestanden mit ihrer Federboa und hat ganz ungeniert den Büstenhalter zurechtgezupft, während er die Auszahlungsquittung vorbereitete. Dabei hat sie ihm gleichgültig auf die Schreibhand geschaut, und als er übertrieben laut: »So! Das wär’s!« gerufen hat, um die Frau zur Besinnung zu bringen und zu demütigen und ihr klarzumachen, wie schamlos sie sich aufführte in Gegenwart eines Mannes – da hat sie ihm gelangweilt ins Gesicht gesehen und sich mit ihren langen roten Fingernägeln an der Hüfte gekratzt.
    Feuerstein räuspert sich und versteckt seine halb leere Tasse in der obersten Schublade seines Schreibtischs, wo er eigens zu diesem Zweck eine Ecke freihält. Als die Schwingtür aufgeht, betreten statt der schönen Niemayer zwei bleiche Burschen den Schalterraum. Gutangezogene Burschen in Knickerbockers, teuren Tweedmänteln und mit nach hinten gekämmten Haaren.
    »Guten Morgen, die Herren. Was kann ich für Sie tun?«
    Da deutet schon eine Pistole auf Feuersteins Stirn. Über den Lauf hinweg fixiert ihn der kleinere Bursche mit grünen Augen und schweigt. Der zweite Bursche, ein langer und schlaksiger Kerl, hat keine Pistole. Der steht nur daneben und tut verlegen. Feuerstein wartet ab, was weiter geschieht. Da die Burschen schweigen, zieht er die Kassenschublade heraus und legt ein Bündel Notengeld auf den Schalter. Es sind fünfundzwanzig Fünfzigmarkscheine, tausendzweihundertfünfzig Reichsmark. In der Kasse liegen noch mehrere Bündel mit Hundertern, Zwanzigern und Zehnern.
    Der schlaksige Bursche greift nach dem Bündel, steckt es in die Manteltasche, sagt: »Danke höflichst!« deutet eine Verbeugung an und lüftet zum Abschied die Mütze. Feuerstein wundert sich – macht der sich lustig über ihn? Nein. Der scheint mit dem einen Bündel tatsächlich zufrieden zu sein. Dabei ist noch viel mehr da. Ulkiger Kerl. Der Kleine mit den grünen Augen aber hält die Pistole weiter starr auf Feuerstein gerichtet. Der macht keinen Spaß. Der will mehr.
    Der alte
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