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Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Titel: Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling
Autoren: Alex Capus
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Dorly. Sie ist nicht fünfundzwanzig, sondern zweiunddreißig Jahre alt und seit sechs Jahren geschieden. Aber das hat sie im Globus niemandem erzählt – niemandem außer diesem blonden Bauernmädchen namens Marie Stifter, das ihr in der Mittagspause immer gegenübersitzt und mit dem sie sich ein bisschen angefreundet hat.
     
    *
     
    Da die beiden einander kurz darauf aus den Augen verloren, fühlte meine Großmutter sich in späteren Jahren nicht mehr zur Verschwiegenheit verpflichtet. »Der haben zwei Jahre Ehe gereicht, um ihr alle Männer ein für alle Mal zu verleiden«, sagte sie mir über die Schulter hinweg, während sie auf der Veranda an den Kletterrosen umherschnipselte. Großvater saß, über ein Kreuzworträtsel gebeugt, am Gartentisch, knackte ärgerlich mit den Kiefergelenken und tat, als ob er nicht zuhörte. Großmutter sprach lauter als nötig und warf ihm kleine Blicke zu. »Diese Dorly! Hat nicht lang gefackelt und sich – zack! – scheiden lassen. Zack! Den Mut hätte ich nie gehabt, war halt auch ein dummes Mädchen vom Land. Zack! Obwohl, wir waren ja noch gar nicht verheiratet, dein Großvater und ich, Ende dreiunddreißig. Noch nicht mal richtig verlobt, wie es sich gehört hätte …« Darauf stieß Großvater den Stuhl zurück und floh ins Haus. Als er außer Hörweite war, wurde Großmutter einsilbig und verscheuchte mich wenig später mit wedelnder Gartenschere.
     
    *
     
    Dorly Schupps Mann hieß Anton Beck, war Steuerbeamter und Radrennfahrer, ein noch junger Mensch von kaum dreißig Jahren, aber schon kühl, förmlich und in sich gekehrt, mit hageren Gliedern, harten Lippen und einer sich ankündenden Glatze am Hinterkopf, wenn jemand Dorly gefragt hätte, was ihr an ihm einmal gefallen hatte, so hätte sie keine Antwort gewusst.
    Die beiden führten ein geregeltes Eheleben, an das sich Dorly schnell und leicht gewöhnt hatte. Damals war sie jung und anpassungsfähig und willens, alles im Leben richtig zu machen. Jeden Montag gingen sie zusammen zum Kegelabend des Staatspersonalverbandes, wo sie bald erfolgreicher war als er; Mittwoch war Waschtag, Freitag Fischtag. Sonntags ging Dorly zum Radrennen und feuerte ihren Toni an, und einmal wäre er beinahe Schweizer Meister geworden.
    Es wäre eigentlich alles in Ordnung gewesen – wenn nur Toni nicht jedes Mal von Kopf- und Rückenschmerzen befallen worden wäre, wenn im Schlafzimmer das Licht ausging. In den ersten Ehewochen hatte Dorly sich darüber gewundert, aber dann hatte sie gemerkt, dass sie auch ohne diese Sache ganz gut zurechtkam; es war ja nicht ein lebensgefährlicher Mangel wie hungern oder frieren. Wenn nur Anton nicht so unglücklich gewesen wäre über sein Unvermögen! Wenn er nur nicht jedes Mal mit einem Entsetzensschrei aus dem Schlaf geschreckt wäre, wenn er die merkwürdigen Dinge träumte, die er nun einmal träumte; wenn er es mit Dorly nur nicht immer wieder hätte erzwingen wollen mit aller Kraft und Ausdauer eines durchtrainierten Radrennfahrers; wenn er nur nicht jedes Mal so verzweifelt gewesen wäre nach der neuerlichen Niederlage und wenn er in seiner Verzweiflung nur nicht jedes Mal derart in Raserei verfallen wäre, dass er Dorly grün und blau schlug und ihr das Kopfkissen aufs Gesicht drückte, damit die Nachbarn ihre Schreie nicht hörten. Und wenn er am nächsten Morgen nur nicht jedes Mal so hündisch zerknirscht gewesen wäre, dass eine Frau jede Achtung vor ihm verlieren musste, und wenn es nur nicht immer nach drei Wochen wieder von vorne begonnen hätte. Als Toni sie eines Nachts wieder würgte, dass ihr schwarz wurde vor Augen, packte Dorly morgens um drei ihre Koffer, durchquerte zu Fuß die ganze Stadt und kehrte heim zur Mutter, die an der Palmenstraße eine gutbürgerliche Vierzimmerwohnung bewohnte und seit dem Tod des Vaters allein war. Sie bezog wieder ihr Mädchenzimmer, fand eine Stelle im Globus als Aushilfsverkäuferin und mied fortan den Umgang mit Männern.
     
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    Aus dem Archiv der Kriminalpolizei Basel-Stadt:
    Velte Waldemar, geb. 4. August 1910 , anscheinendes Alter 28 bis 30 Jahre, ledig, Ingenieur, deutscher Staatsangehöriger. Signalement: Größe 172 cm, Gestalt schlank bis mittel, Haare blond, gekraust, wellig, nach hinten gekämmt, Stirne hoch, zurückweichend, Augen graugrün, Nase geradlinig, rasiert, dünne Oberlippe, Zähne weiß, gut erhalten, Kinn klein, rundlich. Grübchen, Gesicht länglich, Backenknochen etwas vorstehend. Sprache schriftdeutsch mit
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