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Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling

Titel: Fast ein bisschen Frühling - Capus, A: Fast ein bisschen Frühling
Autoren: Alex Capus
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Auslüften aus dem Fenster. Verwundert mustert sie das fremde Automobil, das da in ihrer Straße hält. Polizeikennzeichen III A 17 668, das sollte sie sich vielleicht aufschreiben. Mal sehen. Die Frau tritt einen Schritt vom Fenster zurück und zieht die Gardinen zu, aber zu spät: Der Fahrer des Autos hat sie gesehen, hat zu ihr hochgeschaut und gelächelt. Der hat ja ein ausgesprochen freundliches Lächeln, das muss man ihm lassen. Durch die Gardinen beobachtet die Frau, was weiter geschieht. Der freundliche Bursche fängt an zu reden und zu gestikulieren; jetzt erst bemerkt die Frau, dass auf dem Beifahrersitz ein zweiter Bursche sitzt, von dem sie nur die Beine und den Bauch sehen kann. Die beiden scheinen zu streiten. Die Frau bedauert, dass sie nichts hören kann. Der Nette scheint auf den anderen böse zu sein, und der scheint sich zu verteidigen. Nach einer Weile hat das Gestikulieren ein Ende, im Auto wird es ruhig. Dann nimmt der nette Bursche die Mütze vom Kopf, schlüpft im engen Wagen aus Mantel und Joppe und zieht auch noch Schuhe und Knickerbockers aus. Der andere auf dem Beifahrersitz tut dasselbe, und dann ziehen beide neue Kleider an, die offenbar auf dem Rücksitz bereitlagen. Seltsam. Jetzt muss die Frau das Polizeikennzeichen aber wirklich aufschreiben.
    Die Burschen hätten es überhaupt nicht eilig gehabt, wird sie dem Kriminalrat Wilhelm Schneider, der die Untersuchung leitet, am nächsten Morgen sagen. Ganz gemütlich und ohne eine Spur von Hast seien sie über die Treppe am Ende der Sackgasse hinunter zum Kanonenweg geschlendert, die abgelegten Kleider ordentlich gefaltet über dem Unterarm. Auf der Treppe habe der Kleine dem Großen, also dem Netten, auf die Schulter geklopft, wie um ihn zu beruhigen, und dann habe der Große mit dem Kleinen dasselbe getan.
    Kriminalrat Schneider verabschiedet sich von der Frau und geht den Treppenweg hinunter, dann biegt er stadteinwärts ein in den Kanonenweg. An der nächsten Kreuzung schaut er nach links, und da sieht er weit hinten die Bankfiliale, vor der jetzt keine Polizeiwagen mehr stehen. Gut möglich, dass die Räuber genau hier gestanden haben kurz nach dem Banküberfall und dass sie die Polizei beobachtet haben, die sich mit allen verfügbaren Kräften an die Verfolgung machte, und zwar stadtauswärts. Mit ordentlich gefalteten Kleidern über dem Unterarm. Das müssen freche Burschen sein. Frech und kaltblütig.
    Kriminalrat Schneider setzt sich wieder in Bewegung. Wenn sie stadteinwärts geflohen sind, müssen sie irgendwo untergeschlüpft sein. Er geht vorbei am neuen und am alten Schloss und hinein in die Altstadt, vorbei am Rathaus zum Jugendvereinshaus an der Torstraße. Es ist Sonntagmorgen, das Haus still, die Treppe steil. Er findet den Herbergsvater in der Küche beim Pfannenpolieren. Schneider versteckt ein ratloses Lächeln hinter seinem Schnauzbart. Diese Schwaben! Stehen sonntags vormittags schon in aller Herrgottsfrühe in der Küche und polieren Pfannen, wie wenn das das Schönste wäre auf der Welt. Tatsächlich ist der Herbergsvater frisch rasiert und munter und rosig wie an jedem Morgen seines fünfzigjährigen Lebens. Diese süddeutsche Munterkeit wird Schneider nie verstehen. Er stammt aus Hamburg und hat sich nur seiner Frau zuliebe hierher versetzen lassen, als sie beide noch jung und dünn und frisch verliebt waren.
    Der Herbergsvater stellt zwei Tassen Kaffee auf den Küchentisch, Schneider nimmt das Gästebuch zur Hand. Der letzte Eintrag lautet: Kurt Sandweg und Waldemar Velte, beide Jahrgang 1910 , Anreise aus Wuppertal, abgereist am 19. 11. in Richtung Ulm und München.
    »Die zwei da. Sind die wirklich schon weg?«
    »Heute in aller Herrgottsfrühe, leider. Ich habe nur noch die Treppe knarren gehört. Sehr nette Jungs.«
    Kriminalrat Schneider steht auf und knöpft den Mantel zu. Er will sofort zurück aufs Kommissariat und die Fahndung einleiten.
    Aber der Herbergsvater hält ihn zurück.
    »Die kommen als Bankräuber überhaupt nicht in Frage.«
    »Wieso nicht?«
    »Erstens weil sie kaum Geld in der Tasche hatten. Die haben mich sogar um einen Rabatt angebettelt. Habe ich ihnen natürlich gewährt. Sehr nette Jungs.«
    »Und zweitens?«
    »Zweitens machten beide einen soliden und ernsthaften Eindruck. Besonders Kurt Sandweg hatte etwas Vertrauenerweckendes im Gesichtsausdruck, wissen Sie? Und dann die ordentliche Kleidung und die rheinische Mundart …«
    Der Herbergsvater verteidigt seine Gäste mit so
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