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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld
Autoren: Gisa Klönne
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Lichtkegel der Lampe kann sie einen Schatten erkennen, aber kein Gesicht. Einen Schatten mit einem Schwert, genau wie der Zeuge Bloch es beschrieb. Sie steht sehr still. Wenn ich das hier überlebe, bin ich frei.
    »Tritt die Pistole in meine Richtung. Mit Gefühl.« Der Sprecher lacht auf, wie über einen kleinen, dreckigen Scherz. Seine Stimme klingt jung. Sie hat diese Stimme schon einmal gehört.
    »Und jetzt das Handy, Kommissarin Krieger.«
    Er weiß, wer ich bin. Er hat mich erkannt. Sie tut, was er verlangt, und während ihr Handy über den Boden schlittert, quäkt es plötzlich Queen.
Spread your wings and fly away, fly away, fly away.
Wegfliegen, ja, wenn das möglich wäre. Was ist mit Manni, was ist mit Warnholz und wer ruft sie an – die Einsatzzentrale, Ralf Meuser? Hat er das Mädchen? Kommt her, betet sie stumm. Kommt her.
Fly aw-.
Wieder ein Knirschen. Wieder die Stille, als das Handy verstummt. Das Schwert fällt zu Boden. Der Schatten hebt ihre Walther auf. Du hast keine Chance, also nutze sie – woher kennt sie diesen Spruch? Von früher, vielleicht aus Frankfurt. Ein Spontispruch aus einer anderen Zeit.
    »Das hat doch so keinen Sinn, Fabian.« Ihre Stimme wirkt merkwürdig körperlos, bricht sich an den hohen Wänden und schwebt wieder zu ihr zurück. »In den nächsten Minuten ist Verstärkung da. Du kommst hier nicht raus, also mach es mit einer Geiselnahme nicht noch schlimmer.«
    Wie hohl das klingt, floskelhaft, wie aus einem Deeskalationsseminar. Kein Wunder, dass Fabian Bender auflacht. Freudlos. Wenn er denn wirklich Fabian Bender ist.
    »Lass uns reden, okay, einfach nur ein bisschen reden«, sagt sie.
    Der Lichtkegel zuckt hoch, strahlt ihr direkt in die Augen.
    »Hey!« Sie blinzelt.
    Irgendwo stöhnt jemand.
    »Hör auf die Kommissarin, Junge.« Warnholz' Stimme klingt dumpf, als habe er starke Schmerzen. »Dein Vater hätte niemals gewollt, dass -«
    »Halt's Maul! Scheißpope!«
    Das Licht wirbelt von Judith weg, für einen schlaglichtartigen Moment sieht sie Mannis Gesicht, dann peitscht ein weiterer Schuss durch die Kirche und jemand heult auf.
    Wen hat er getroffen – Manni oder Warnholz? Lebt Manni noch? Die Zeit läuft ab, sie muss handeln. Schnell. Judiths Herz hämmert hart, sie macht drei lange Schritte auf Fabian zu. Rechts des Lichtkegels auf dem Boden erkennt sie eine Gestalt. Reglos und zusammengekrümmt. Warnholz, das muss Warnholz sein, wird ihr klar.
    Das Licht zuckt zu ihr zurück, streift Manni erneut. Seine Arme sind mit Handschellen an den Messing-Kerzenleuchter gefesselt, der aus einem massiven Granitquader ragt. Er bewegt sich nicht, sein Kopf hängt auf seiner Brust. Das Licht bewegt sich weiter, lässt Manni im Dunkel verschwinden und blendet sie erneut.
    Eine Chance, nur eine Chance. Sie blinzelt, versucht ruhige Gewissheit in ihre Stimme zu legen. Gewissheit, die sie nicht spürt.
    »Er hat dich nie anerkannt, stimmt's? Er war nie da. Hat dich völlig verleugnet.« Sie denkt an ihren Vater im Schnee, an sich selbst, wie sie sich an seinen riesigen Rucksack klammerte, wie sie ihn nicht gehen lassen wollte. Laienpsychologie, mehr hat sie nicht zu bieten. Doch es scheint zu funktionieren.
    »Er ist nicht mal zu ihrer Beerdigung gekommen.«
    »Janas Beerdigung?«
    »Quatsch. Die von meiner Mutter.«
    Die krebskranke Mutter, natürlich, ja. Einsam. Verarmt. MÖRDER. Er hat Georg Röttgen die Schuld an ihrem Tod gegeben. Dem Vater, der ihn verleugnet hat.
    »Seit wann weißt du, dass Georg Röttgen dein Vater war?«
    »Kurz vor ihrem Tod hat sie mir die Briefe und Fotos gezeigt, die sie an ihn geschrieben hat. Er hat sie nicht mal geöffnet, hat sie alle zurückgeschickt.«
    Vollkommen unvermittelt feuert er weitere Schüsse ab. Einer sirrt haarscharf an Judith vorbei. Sie schreit auf. Duckt sich. Fabian Bender lacht. Es klingt gespenstisch. Verrückt.
    »Scheißpopen! Scheißgott!«
    Wieder feuert er. Diesmal Richtung Altar. Dann noch einmal, aber es ertönt nur noch ein metallisches Klicken, das Magazin ist leer. Er lässt die Waffe zu Boden fallen, lädt die zweite Walther durch. Wenn du nichts mehr zu verlieren hast, bist du frei. Noch so ein Spruch. Durch die hohen Kirchenfenster glaubt sie das Flackern von Blaulicht zu sehen.
    »Du hast ihn angerufen, als deine Mutter gestorben ist«, sagt sie, als ob es die Schüsse gar nicht gegeben hätte. Als ob er nicht mit ihrer eigenen Waffe auf sie zielte.
    »Ja, klar. Ich mein, all die Jahre hab ich mir da was
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