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Fanny Hill

Fanny Hill

Titel: Fanny Hill
Autoren: John Cleland
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mir wo er wohne, was sehr weit von dem Orte entfernt war, wo wir standen und wohin er sich verirrt hatte, als er wie ich einen Morgenspaziergang machen wollte.
    Wie ich im intimeren Verkehr erfuhr, war er ein alter Junggeselle, der nahe an die sechzig Jahre zählte, aber noch so gut erhalten war, dass man ihn für zwischen Vierzig und Fünfzig halten konnte. Durch Ausschweifung hatte er allem nach seiner Gesundheit keinen Schaden getan. Seine Eltern waren ehrliche Leute gewesen, hatten aber seinerzeit ihr ganzes Vermögen verloren, weshalb er wie ein Waisenkind von der Gemeinde erzogen worden war. Mit Ehrlichkeit und Fleiß fand er den Weg in das Kontor eines Kaufmannes, der ihn etwas später in sein Haus nach Cadix schickte, wo er sich durch Tätigkeit und Talente nicht nur Geld, sondern ein immenses Vermögen erwarb, mit dem er in sein Vaterland zurückkehrte, wo er aber keinen einzigen Anverwandten mehr auftreiben konnte. Er fand so Geschmack an der Einsamkeit und genoss sein Leben, bequem und reichlich, doch ohne äußeren Prunk.
    Ich muss diese neue merkwürdige Bekanntschaft des Zusammenhanges meiner Geschichte wegen erwähnen, anders könnten Sie sich mit Recht wundern, wie ein Frauenzimmer von meinem Temperamente und meinem heißen Blute und meiner Lust am Leben, einen Liebhaber von sechzig Jahren für einen besonderen Fang halten kann.
    Ich behalte mir vor, später vielleicht einmal eine umständlichere Beschreibung davon zu geben, wie im weiteren Verlauf unserer Bekanntschaft unmerklich aus dem platonischen Verhältnis ein wirkliches wurde. Das Alter hatte sein Geschlecht nicht ausgelöscht, hatte ihm auch nicht die Fähigkeit zu gefallen genommen, und den zauberhaften Reiz der Jugend ersetzte er durch angenehme Manieren, durch Erfahrung und eine große Geschicklichkeit, zum Herzen durch verständiges Sprechen zu kommen. Von ihm lernte ich zuerst und zu meiner großen Freude, dass etwas in mir war, das Achtung verdiente, und von ihm erhielt ich die Aufmunterung und Anweisung, dieses Etwas zu kultivieren; er war der Erste, der mich lehrte, dass die geistigen Vergnügen über den körperlichen stünden und dass die größte Lust in der Abwechslung und dem Übergang von einem zum andern liege; dass die Vervollkommnung des Geschmacks an der Wollust dadurch eine Höhe erreiche, zu der die Sinne allein nie gelangen.
    Er war vernünftig, wollüstig und viel zu klug, sich menschlicher Lüste zu schämen; er liebte mich aber auch mit dem Herzen, und hatte nichts von jener Verdrießlichkeit und dem Eigensinn, die dem Alter eigen sind; auch war es nicht dieses kindische, einfältige Verliebtsein des alten Mannes, das er ganz lächerlich fand und mit einem alten Bock verglich, der eine junge Kitz affektiert. Kurz, alles was das Alter so unliebenswürdig macht, war bei ihm von so vielen Vorteilen ersetzt, dass er mir zum Beweis dafür wurde, dass auch das Alter gefallen kann, wenn es danach geführt wird, und nicht vergisst, dass es mehr Mühe und Aufmerksamkeit als die Jugend verlangt, gleich Früchten, die außerhalb der Jahreszeit gezogen werden.
    Mit diesem Manne, der mich bald nach unserer Bekanntschaft in sein Haus nahm, lebte ich volle acht Monate lang. In dieser Zeit bemühte ich mich, sein Zutrauen und seine Liebe zu verdienen und gewann so sehr seine Achtung, dass er mir erst eine schöne Rente auswarf und mich schließlich in sein Testament als einzige Erbin einsetzte. Diese Bestimmung überlebte er nur noch zwei Monate: eine heftige Erkältung gab ihm den Tod, als er eines Nachts, durch Feuerlärm aufgeschreckt, bei kaltem Wetter mit offener Brust sich zum Fenster hinaus gelehnt hatte.
    Ich erfüllte die letzten Pflichten an meinem Wohltäter und betrauerte ihn aufrichtig, welche Trauer nach einiger Zeit zu inniger Dankbarkeit und zärtlicher Erinnerung an ihn wurde, da ich jetzt wirklich in Überfluss und vollkommener Unabhängigkeit leben konnte.
    Ich sah mich nun in voller Blüte und dem Stolz meiner Jugend — ich war noch nicht ganz neunzehn — wieder allein und im Besitz eines Vermögens, so groß, dass es unverschämt gewesen wäre, noch mehr haben zu wollen; und dass diese meine angenehme Situation mir nicht den Kopf verdrehte, das verdanke ich nur meinem Wohltäter, der sich so viel Mühe mit mir gegeben hatte, aus mir etwas zu machen und mich auch in der klugen Verwaltung eines Vermögens unterrichtet hatte.
    Aber wie erbärmlich ist der Genuss des angenehmsten Lebens, wenn die Sehnsucht nach
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