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Fangschuss

Fangschuss

Titel: Fangschuss
Autoren: Sunil Mann
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Geräusche im Wald. Und den Steinschlag, der mich gerettet hat, hast auch du ausgelöst.«
    »War gar nicht so schwierig, da raufzukommen. Man muss nur schwindelfrei sein. Der erste Stein, derjenige, der dich überhaupt erst in Gefahr gebracht hat, war aber nicht Absicht. Ich hab ihn im Dunkeln übersehen. Sorry, Mann.«
    Er lächelte entschuldigend. »Aber ich musste erst einmal abchecken, was du wolltest. Da oben wimmelt’s nur so von kuriosen Gestalten.«
    »Immerhin bist du genau im richtigen Moment aufgetaucht. Aber erzähl weiter«, forderte ich ihn auf.
    »Also: Mein Vater tischte Bier und Sandwiches auf und arrangierte eine Art Buffet auf dem Esstisch, den sie ins Freie geschleppt hatten. Nachdem sie gestärkt waren, schulterten sie ihre Gewehre, und Seeholzer instruierte meinen Vater, worauf dieser zum Offroader ging und den Kofferraum öffnete. Zuerst rührte sich nichts, doch dann, als ich sah, was da herausgeschossen kam, verließ mich aller Mut. Bis zu diesem Moment war ich zuversichtlich gewesen, diesen Albtraum auf irgendeine Art und Weise zu überleben, aber von dem Zeitpunkt an, als die Hecktür des Wagens aufgemacht wurde, ahnte ich, dass es mir genauso ergehen würde wie Edi und Ardim.
    Wie gelähmt starrte ich auf die beiden schwarzen Hunde, zwei muskelbepackte Killermaschinen, die freudig diesen Seeholzer begrüßten. Mussten wohl ihm gehören. Dann nahmen sie unvermittelt Witterung auf und stürmten geradewegs auf mich zu. Meine Beine waren mit einem Mal butterweich und gehorchten mir überhaupt nicht mehr. Ich dachte schon, das wäre das Ende, als mich jemand an den Schultern hochriss. ›Was guckst du? Lauf, Mann!‹ Es war Tarik, der mir so das Leben rettete.«
    Philipp schenkte sich ein weiteres Glas Kirsch ein, das er nicht sofort trank. Er hielt es nur fest und starrte lange darauf. Seine Kiefer malmten, dann hob er den Kopf. Ich erschrak, als ich in sein Gesicht blickte. Er war leichenblass geworden − er durchlebte das Erzählte erneut. Dunkle Schatten lagen wie eintätowiert auf seinen jungenhaften Zügen. Wir sagten beide eine Weile nichts, dann entschuldigte ich mich, stand auf und ging hinaus, um den Motor zu überprüfen. Auf dem Weg dorthin wechselte ich Geld bei der Bedienung und holte eine Packung Parisienne Blau aus dem Automaten. Die Dämmerung setzte langsam ein, lilafarbene Schatten legten sich über die Bergspitzen, der Himmel färbte sich orange und der Wald wurde dunkler, düsterer, spinnwebartiger Abendnebel stieg langsam aus ihm hoch. In den letzten zwanzig Minuten war kein einziger Offroader mehr vorbeigefahren, und doch wusste ich, dass Stadelmann und Winkler früher oder später auftauchen mussten. Ich zündete eine Zigarette an und sog den Rauch tief in die Lunge. Die Kühlerhaube war zwar immer noch heiß, aber wenigstens war der Tank jetzt wieder voll.
    Philipp saß noch genauso am Tisch, wie ich ihn zurückgelassen hatte, und hielt sich am Schnapsglas fest.
    »Wir können bald los.«
    »Warten wir ab, bis diese Typen vorbeigefahren sind.«
    »Hatte ich mir auch gedacht.«
    »Soll ich weitererzählen?«
    »Du kannst auch später …«
    »Ich will es loswerden. Ich trage es schon die ganze Woche mit mir herum.« Er stürzte den Kirsch in einem Zug hinunter und fuhr mit leiser Stimme fort:
    »Tarik rannte voraus. Ich war plötzlich so müde. Wäre er nicht gewesen, ich hätte mich auf den Boden geworfen und auf die Hunde gewartet. Doch er trieb mich an und führte mich durch den Wald zu einer Art Höhle, eigentlich mehr ein großer Spalt in einer Felswand. Offensichtlich hatte er sie auf der Flucht entdeckt und sich darin in Sicherheit gebracht. Das Versteck war gar nicht so übel, es war hinter Büschen verborgen, aber ich war mir nicht so sicher, ob uns die Hunde dort nicht doch aufspüren würden. Aber für Zweifel war keine Zeit. Wir zwängten uns hastig hinein, ich zuerst, dann, nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Tiere noch nicht so nah waren, dass sie uns sehen konnten, Tarik. Es war eng darin und roch modrig. Wir drängten uns aneinander, trauten uns kaum zu atmen und rührten uns nicht. Hinter mir wurde der Spalt immer schmaler, es wäre unmöglich gewesen, noch weiter hineinzukriechen. Nur wenig später hörten wir Äste knacksen, trockene Blätter rauschen, dazu ein metallisches Rasseln, begleitet von einem wilden Hecheln. Ich erstarrte und befürchtete, das Hämmern meines Herzens könnte die Bestien herlocken. Doch sie schossen am Felsspalt
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