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Fangschuss

Fangschuss

Titel: Fangschuss
Autoren: Sunil Mann
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war. Durch die Baumstämme hindurch sah ich ihn jetzt am Rand des Abgrunds knien, angestrengt versuchte er, den Chinesen heraufzuziehen. Die Wurzel war längst gerissen, der Dicke hing jetzt an der Hand des Russen. Dann hörte ich aufgeregte Stimmen, die sich von der Hütte her näherten. Ich pirschte mich so geräuschlos wie möglich durch das Unterholz davon. Nach wenigen Schritten hörte ich erst ein verzweifeltes Quieken, dann einen dumpfen Aufprall und das Fluchen des Russen.
    Am Rand der Lichtung blieb ich stehen. Die Hütte wirkte verlassen, die Männer schienen sich entfernt zu haben. Alles war ruhig. Ich holte gerade Luft, um über die Weide zu spurten, als Ardim rechts von mir aus dem Wald stürzte. Sein Gesicht war zur Fratze verzogen, seine Augen verdreht, sodass nur das Weiße zu sehen war. Nur wenige Sekunden nach ihm brach der andere Russe aus dem Unterholz, das Gewehr im Anschlag, mit wütender Miene, eine echte Tötungsmaschine, Mann!
    Ardim rannte quer über die Lichtung, kam bis zur Mitte und bog dann plötzlich scharf ab. Jetzt hetzte er geradewegs auf mich zu. Entsetzt bemerkte ich, dass von der linken Seite her Seeholzer mit zwei Männern auftauchte. Offensichtlich hatten sie gut getarnt im Unterholz darauf gelauert, dass einer von uns zur Hütte zurückkehren würde. Der Mann wusste, wie man erfolgreich jagte. Jetzt stieß der Russe zu ihnen, und die vier Männer lärmten und schossen wild in die Luft, eine regelrechte Treibjagd veranstalteten sie, während der arme Ardim versuchte, den Waldrand zu erreichen. In diesem Augenblick musste er begriffen haben, dass es aussichtslos war, dass er verloren hatte. Ich erkannte es in seinem Blick, kurz bevor er von einem Schuss in den Rücken getroffen wurde und sein T-Shirt sich rot färbte. Ardim stolperte, sein Blick wurde leer, er fiel hin, zuckte noch ein paarmal, dann regte er sich nicht mehr. Vor Wut und Verzweiflung hätte ich am liebsten laut geschrien. Ich hätte Ardim berühren können, er lag nicht einmal eine Armlänge von mir entfernt im Gras.« Philipp wischte sich mit der Hand die Tränen weg und zog den Rotz hoch.
    »Seeholzer machte eine Bemerkung und die anderen Männer lachten, dann wandten sie sich ab und trotteten den Hang hinunter auf die Hütte zu. Einer der Männer klopfte dem Russen auf die Schulter. Ich zitterte echt am ganzen Leib. Dann hörte ich ein Motorengeräusch, das sich rasch näherte. Es war ein schwarzer Offroader, der neben der Jagdhütte parkte. Mann, ich traute meinen Augen nicht, als ich erkannte, wer ausstieg. Eiskalte Wut schoss in mir hoch, und gleichzeitig war ich zutiefst entsetzt. Entsetzt darüber, dass mein Vater so etwas mitmachte. Doch je länger ich darüber nachdachte, desto logischer erschien es mir, dass er an dieser abscheulichen Jagd teilnahm. Ich halte ihn schon länger für einen Versager. Ich verachte ihn, weil er sich nicht gegen meine Mutter wehrt, die ihn mit ihren hohen Ansprüchen unter Druck setzt. Sie stammt aus einem alten Adelsgeschlecht und hat unter ihrem Stand und gegen den Willen ihrer Familie meinen Vater geheiratet. Wahrscheinlich will sie seitdem beweisen, dass sie trotz der Einwände ihrer Eltern keine schlechte Wahl getroffen hat. Doch mein Vater ist nicht in der Lage, ihre Erwartungen zu erfüllen. Er schafft es ihr zuliebe mit Müh und Not bis zum Vizedirektor, doch es ist klar, dass er nie Direktor der Bank werden wird. Dazu ist er nicht der Typ. Nicht ein einziges Mal hat er den Mut aufgebracht, gegen sie aufzubegehren, das zu machen, was er für richtig hält, was er will. Lieber leidet er stumm, tut, was sie von ihm verlangt, und wird immer unglücklicher. Ich konnte das nicht länger mit ansehen, deswegen bin ich abgehauen und habe jeden Kontakt zu meiner Familie abgebrochen. Dass er da oben in den Bergen auftauchte, passt zu ihm und seiner unterwürfigen Art.«
    Philipp starrte nachdenklich vor sich hin. Dann sagte er so leise, dass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen: »Ich habe ihn einmal sehr geliebt. Er war mein Held, bis ich herausgefunden habe, wie er funktioniert. Der Mann hat zwar viel Geld, eine tolle Villa und eine attraktive Frau. Aber er hat kein Rückgrat. Das habe ich ihm sehr übel genommen und nie verziehen. Bis zum heutigen Tag nicht.«
    Er klaubte sich die letzte Zigarette aus meinem Päckchen und zündete sie an. »Ist übrigens nicht die erste, die ich mir borge.«
    Ich grinste schwach. »Hab ich bemerkt. Du hast mich beobachtet, deswegen die
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