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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin
Autoren: Boris Akunin
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Spizyna nicht mit der Eisenbahn, sondern wie in alten Zeiten mit eigenem Gespann.
    Das war gewiß noch ein Glück für Fandorin, denn hätte die Gutsfrau auf den Bahnhof gemußt, wäre es zu gar keinem Gespräch gekommen. Doch lief die Unterredung mit der geschwätzigen Zeugin, wie immer Fandorin ihr beizukommen suchte, nur auf eines hinaus: Xaveri Gruschinbehielt recht. Frau Spizyna hatte Kokorin gesehen. Den Gehrock wußte sie zu erwähnen und den runden Hut – und noch dazu geknöpfte Lackstiefeletten, die den Zeugen im Alexandergarten entgangen waren.
    Fandorins ganze Hoffnung lag nun auf Kukin, doch auch da würde Gruschin wohl recht behalten: Bestimmt hatte der Krämer drauflosgeredet, ohne nachzudenken, und jetzt rannte Fandorin ihm durch halb Moskau hinterher und machte sich vor seinem Vorgesetzten zum Gespött.
    Die Kolonialwarenhandlung »Brykin & Söhne« lag mit der gläsernen Eingangstür, an die ein Zuckerhut gemalt war, zur Uferpromenade; die gesamte Brücke war, wie Fandorin sogleich bemerkte, von hier aus hervorragend zu überblicken. Des weiteren fiel ihm auf, daß die Ladenfenster, wohl der Schwüle wegen, offen standen, so daß Kukin das »metallische Klicken« tatsächlich hätte hören können; der nächste Brückenpfeiler war kaum fünfzehn Schritte entfernt. Ein Mann um die Vierzig, in rotem Hemd und schwarzer Weste, Samthosen und Reitstiefeln lugte neugierig aus der Ladentür.
    »Darf ’s etwas sein, der Herr?« fragte er. »Vom rechten Weg abgekommen?«
    »Kukin?« fragte Fandorin streng, während er bezüglich der zu erwartenden Aussagen alle Hoffnungen fahren ließ.
    »Zu Diensten!« Der Verkäufer zog verwundert die buschigen Brauen nach oben, erriet aber im nächsten Moment, was Sache war. »Der Herr kommen gewißlich von der Polizei? Aufrichtig verbunden, mit so viel Anteilnahme hatte ich ja nicht zu rechnen gewagt! Der Herr Wachtmeister äußerte sich dahingehend, daß die vorgesetzte Behörde sich schon kümmern würde, aber daß es so schnell geht, nein, wirklich. Was stehen wir denn hier auf der Schwelle, kommen Sie doch rein in den Laden, das freut mich aber, wie mich das freut!«
    Er verbeugte sich, schob die Ladentür auf, machte eine einladende Geste – ich darf bitten, der Herr! – doch Fandorin rührte sich nicht vom Fleck.
    »Ich komme nicht vom Polizeirevier, sondern vom Kriminalamt«, sagte er wichtig. »Mein Auftrag ist, den St… – ja, diesen Herrn ausfindig zu machen, bezüglich dessen Sie beim Herrn Reviervorsteher vorstellig wurden.«
    »Den Stipenten?« soufflierte ihm der Verkäufer eilfertig. »Na, aber! Ich kann Ihnen sagen, der ist mir in vorzüglichster Erinnerung! Hab ich einen Schreck gekriegt, mein Gott. Wie ich sehe, da krabbelt einer auf den Pfeiler und hält sich die Pistole an den Kopf, das Herz ist mir in die Hose gerutscht, das war’s wohl, hab ich gedacht, wieder so ein Fall wie voriges Jahr, und du mußt deine Kunden die nächste Zeit mit der Beißzange in den Laden ziehen. Dabei kann unsereins doch gar nichts dafür! Was lockt die, wie die Fliegen der Mustopf, justament hierher? Sollen sie doch an die Moskwa runtergehen, da ist der Fluß tiefer, und die Brücken sind höher …«
    »Hören Sie auf, Kukin«, fiel Fandorin ihm ins Wort. »Beschreiben Sie mir lieber den Studenten. Was er anhatte, wie er aussah und wie Sie überhaupt darauf kamen, daß es ein Student war.«
    »Na, wie die Stipenten eben aussehen, das sieht man doch, Euer Ehren!« Der Verkäufer wunderte sich. »Die Uniform, die Knöpfe, das Nasenfahrrad …«
    »Sagten Sie Uniform?« Fandorin wurde hellhörig. »Trug er denn eine Uniform?«
    »Na, was dachten Sie?« Kukin sah den begriffstutzigen Beamten mitleidig an. »Wo soll ich sonst herwissen, ob so einer ein Stipent ist oder ob nicht? Glauben Sie, ich kann nicht an der Uniform erkennen, ob einer Stipent ist oder Amtsperson?«
    Auf diese treuherzige Frage wußte Fandorin nun nichts zu erwidern; er zog ein akkurates Notizbüchlein nebst Bleistift aus der Tasche, um die Aussage festzuhalten. Das Büchlein hatte er gekauft, bevor er den Dienst beim Kriminalamt antrat, drei Wochen hatte es unbenutzt gelegen. Heute nun kam es ihm zupaß – seit dem Morgen hatte er schon mehrere Seiten mit winziger Schrift vollgeschrieben.
    »Erzählen Sie mir, wie der Mann aussah.«
    »Na, wie einer aussieht. Nicht weiter auffällig, bißchen picklig im Gesicht. Nasenfahrrad, wie gesagt …«
    »Was genau – Brille oder Zwicker?«
    »Na, so am
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